Verlassene Kirchen. Kultstätten im Verfall
Wir sind nichts als das Abbild dieses Ortes. Dem Vergessen, dem Untergang geweiht verlieren wir Stück für Stück unsere Jugend und gehen auf das Ende zu. Alles vergeht und der Spiegel, den uns solch agonisierende Bauwerke vorhalten, sollte uns zu Demut anhalten.
Wenn uns unsere abenteuersuchenden Schritte eines Tages an solche Orte führen, sollten wir diese nicht für tot halten. Sie schlafen.
Seit einigen Jahrzehnten ist in ganz Europa ein eindeutiger Trend zu beobachten: Die christliche Religion und mit ihr die christlichen Kirchen verlieren an Bedeutung. Die Zahl der Kirchenmitglieder und damit auch der Gottesdienstbesucher geht zurück. Somit werden auch immer mehr Kirchengebäude überflüssig. Manche werden zu Supermärkten, Restaurants oder Sporthallen umgenutzt, andere bleiben sich selbst überlassen und verfallen. Der Enthusiasmus und die tiefe Frömmigkeit, die die Menschen über Jahrhunderte dazu trieb, Tausende von spektakulären Kathedralen, Herberge bietenden Klöstern, stolzen Stadtpfarrkirchen und bescheidenen Dorfkirchen zur Ehre Gottes zu errichten, sind vorbei und sie werden wohl auch nicht wiederkehren.
Der französische Fotograf Francis Meslet hat über acht Jahre verlassene und aufgegebene Kirchen in Frankreich, Belgien, Italien, Portugal, aber auch in Deutschland, besucht und grandios ins Bild gesetzt. Entstanden sind Fotos von melancholischer Schönheit, von denen jedes eine ganze Geschichte erzählt. Zerbrochene Heiligenfiguren, eingestürzte Dächer, Spinnweben an den Altären, halb heruntergebrannte Kerzen und vergessene Messgewänder wirken auf den ersten Blick nostalgisch, trauern dann jedoch einer unwiederbringlich vergangenen Zeit nach.
In seinem Einführungstext weist Meslet darauf hin, dass er bewusst den jeweils genauen Standort der Kirchenruinen verschweigt. Um den Ansturm Neugieriger zu vermeiden, sind nur die Region und das Land angegeben. Der Fotograf bat befreundete Menschen – Kunsthistoriker, Literaten, Musiker, Filmemacher und Philosophen – gebeten, zu den einzelnen Objekten assoziative Texte zu schreiben. Die entstandenen Wortbeiträge sind keine kunsthistorischen Beschreibungen; sie changieren zwischen Meditation und Poesie, verstören oder machen Mut. In der Verbindung zwischen den großformatigen Bildern und den zugeordneten Texten entstand ein Paralleluniversum, das unserer Vorstellungskraft freien Lauf lässt. Als Fotograf nähert sich Francis Meslet mit großem Respekt vor der ursprünglichen Funktion den abgebildeten Orten des Glaubens.
Der Fotoband sei allen empfohlen, die sich um die Zukunft unserer oft Jahrhunderte alten Kirchengebäude sorgen. Vielleicht gelingt es ja, aus der Melancholie und Trauer herauszufinden und Konzepte zu entwickeln, die dem fortschreitenden Verlust sakraler Architektur und Kunst Einhalt gebieten können.
Francis Meslet: Verlassene Kirchen. Kultstätten im Verfall. Jonglez Verlag, 1. Auflage Oktober 2020; ISBN 978-2-36195-444-4; EUR 35, – www.jonglezverlag.com