Buchtipp

Kirchenbau in Berlin 1933 – 1945

Noch immer wird in diversen Publikationen die Ansicht vertreten, dass der Kirchenbau und die Schaffung kirchlicher Kunstwerke in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus nahezu zum Erliegen gekommen waren, dass staatliche Stellen sakrale Bauvorhaben behinderten und sogar untersagten. Die Berliner Kunsthistorikerin Beate Rossié hat sich nun intensiv mit diesem in der Forschung tatsächlich vernachlässigten Thema beschäftigt und vermittelt in ihrer vorliegenden Publikation erstaunliche Erkenntnisse: „Zwischen 1933 und 1944 wurden allein auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland mindestens 800 Kirchen, Gemeindehäuser und Kapellen neu erbaut. Über 450 Neubauten entstanden im katholischen und mehr als 320 im evangelischen Bereich.“

Ein besonderes Augenmerk richtet Rossié auf die damalige Reichshauptstadt Berlin mit ihren zu dieser Zeit über 4 Millionen Einwohnern. Auch hier sind die Zahlen beträchtlich: Nach Recherchen der Autorin entstanden hier 23 katholische und 30 evangelische Sakralbauten sowie vier Kirchen anderer christlicher Konfessionen völlig neu. Darüber hinaus wurden mindestens 54 Erneuerungen bestehender Berliner Kirchengebäude vorgenommen. Bei der Betrachtung der jeweiligen Architektur wird sichtbar, dass alle damals aktuellen Stilansätze – „die klassizierende Anmutung der Staats- und Parteiarchitektur, Neoromanik, Heimatschutzstil und Neue Sachlichkeit“ – auch im Kirchenbau der NS-Zeit ihren Niederschlag fanden. Bei den wenigen Sakralbauten, die noch im Stil der Moderne und der Neuen Sachlichkeit entstanden, lagen Planung und Baubeginn in der Regel vor 1933 – galt doch die „Tradition“ als Leitbild und die Moderne eher als Feindbild.

Einen umfangreichen Teil ihres Buches widmet Beate Rossié der kirchlichen Kunst und der sakralen Ausstattung. Dankenswerterweise werden die Untersuchungen zu den Berliner Kirchenbauten hier immer wieder ergänzt um Beispiele aus anderen Regionen Deutschlands. In zahlreichen Fällen wurden Kunstwerke aus der Zeit der Weimarer Republik, die einer modernen Kunstauffassung entsprachen, als „entartet“ aus den Kirchenräumen entfernt. Nicht wenige neu entstandene Ausstattungsstücke waren ideologisch aufgeladen und passten sich – wie zum Beispiel heroisierende Christusdarstellungen oder völkisch geprägte Bildmotive zeigen – der nationalsozialistischen Propaganda an. Selbst vor Hitlerbildern im Kirchenraum schreckte man nicht zurück. Die in den letzten Jahren häufiger in die Schlagzeilen geratene Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf ist nur ein besonders augenfälliges Beispiel. Und sicher ist es kein Zufall, dass es mehr als sieben Jahrzehnte brauchte, bis nicht wenige Kirchengemeinden feststellten, dass ihre in den Jahren des Nationalsozialismus gegossenen Glocken mit Hakenkreuzen und anderen NS-Symbolen verziert waren.

Auch eine finanzielle Förderung für Kirchenbau und kirchliche Kunst durch staatliche Stellen, in Einzelfällen sogar durch das Propagandaministerium, war nichts Ungewöhnliches. Resümierend lässt sich feststellen, „dass Kirchenbau und Kirchenkunst in der Zeit des Nationalsozialismus eine nicht geringe Relevanz besaßen.“ Den an jüngerer Kirchen- und Kirchbaugeschichte Interessierten sei das akribisch recherchierte Buch sehr empfohlen.

Beate Rossié: Kirchenbau in Berlin 1933 – 1945. Architektur – Kunst – Umgestaltung. Lukas Verlag, Berlin 2022. 468 Seiten; zahlreiche schwarz-weiß-Abbildungen; ISBN  978-3-86732-387-1; 36, – Euro