Griff zum Himmel
2017 fand im Grassimuseum Leipzig die Ausstellung „Begreifbare Baukunst“ statt. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stand ein Gebrauchsgegenstand, durch den wir Zugang zu einem Gebäude erlangen – die Türklinke.
In den 1980er Jahren entwickelte Otl Aicher (1922-1991), Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm, für das nordrheinwestfälische Unternehmen Franz Schneider Brakel (FSB) die „Vier Gebote des Greifens“: Daumenorientierung, Zeigefingerkuhle, Handballenstütze und Greifvolumen. Anhand dieser Merkmale sollten gute Türgriffe beurteilt werden, denn mit Klinken und Co. verdient FSB seit 140 Jahren ihr Geld. Mit Devotionalien begann übrigens die Geschäftstätigkeit von FSB.
Mit der Kirchenklinke und dem Zugang zu Sakralbauten beschäftigt sich das bei FSB im Eigenverlag herausgegebene Buch „Griff zum Himmel – Handle to Heaven“. Sakralbauten sind anspruchsvolle Aufgaben für Architekten, ihre Eingänge haben eine wichtige Schwellenfunktion, verbinden sie doch das Weltliche mit dem Geistigen.
Das vorliegende Buch ist so etwas wie ein Portal, es kann von beiden Seiten geöffnet werden und lädt so zum hineinlesen ein. Es hat zwei Titel, zwei Inhaltsverzeichnisse und zwei Vorworte. Alle Texte sind zweisprachig (deutsch und englisch). Das Titelbild hier zeigt einen nicht realisierten Prototyp eines Türgriffes aus den 1960er Jahren, das zweite Titelbild die von Egon Eiermann gestalteten Türgriffe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Neben dem Vorwort von Wolfgang Reul, der als Leiter der Kommunikation Architektur bei FSB auch die Berufsbezeichnung „Türklinkenphilosoph“ führt, finden wir Interviews des Theologen Thomas Erne mit den Architekten Andrea Uhlig, Dirk Bayer sowie Benedikt und Ansgar Schulz. Weitere Interviews bringen dem Leser das umstrittene Projekt „House of One“ in Berlin näher, eine utopische Idee, die eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee unter einem Dach vereint und das gerade Wirklichkeit wird. Der Beitrag von Alexandra Klei und Ulrich Knufinke über die Symbolik des Portals der Synagoge Düsseldorf leitet über zum Fotoessay „Griffe zum Himmel“. Hier wird der Blick des Lesers auf die meistberührten und oft übersehenen Architekturelemente von Sakralbauten gelenkt. Der andere Teil des Buches wird durch ein Vorwort zu sakralen Räumen in säkularen Zeiten eingeleitet. Es schließt sich das für den Rezensenten interessanteste Interview über das muslimische Wasch- und Gebetshaus auf dem Friedhof Finkenriek in Hamburg an. Die Architektin Medine Altiok spricht hier über islamischen Ornamente und die Bedeutung von Eingängen. Das Interview mit einem Architekturstudenten und einer Theologiestudentin leitet geschickt über zum Fotoessay „Besondere Kirchen und ihre Eingänge“ der Berliner Fotografen David Hiepler und Fritz Brunier.
Das Buch macht Appetit, beim nächsten Stadtrundgang, der nächsten Wanderung, Radtour oder Exkursion einmal mehr den Blick auf die kleinen Architekturdetails der Kirchen zu lenken. Dies gilt insbesondere in Zeiten, wo man häufig vor verschlossenen Kirchentüren steht.
Wolfram Friedrich
Buch „Griff zum Himmel – Handle to Heaven“
Bezugsmöglichkeit auf der Webseite https://www.fsb.de/, dort „Service + Kontakt“