Was uns bewegt – der Vorstand berichtet

Dorfkirchen als Orte von Kunst und Kultur

Nach mehrjähriger finanziell bedingter Pause konnte der Verein „Theater  in der Kirche“ in diesem Jahr wieder mit einer größeren Inszenierung in zwölf Kirchen in Brandenburg und Berlin vor einem begeisterten Publikum präsent sein. Mit der Komödie „Lysistrate“ des griechischen Dichters Aristophanes wird ein Stück aufgeführt, das vor mehr als zweitausend Jahren seine Premiere feierte und heute wieder – oder vielleicht noch immer – hochaktuell ist. Durch Liebesentzug schaffen es die Frauen in Athen und Sparta ihre Männer zu zwingen, den leidvollen Krieg zwischen den beiden Stadtstaaten zu beenden.

Ein heißer Sommer neigt sich dem Ende zu. Viele zog es bei ihren Ausflügen in diesem Jahr an die Badeseen des Landes. Gut besucht waren aber auch die vielen Kulturveranstaltungen, die zwischen Uckermark und Lausitz, Havelland und Oderbruch in den zahlreichen Dorfkirchen stattfanden – und das vermutlich nicht nur, weil es hinter den dicken Feldsteinmauern noch lange angenehm kühl blieb. Darbietungen von Barock und Klassik bis zum mo-dernem Jazz, Orgel-, Chor- und Kammerkonzerte – musikalisch wird inzwischen fast jeder Geschmack bedient. Allein im Rahmen der vom Förderkreis Alte Kirchen und dem Landesmusik- schulverband Brandenburg initiierten Konzertreihe „Musikschulen öffnen Kirchen“ fanden in diesem Jahr über 70 Konzerte statt. In vielen ländlichen Regionen fällt in den Sommermonaten am Samstag die Entscheidung schwer, in welcher Kirche man ein Konzert besucht. (Bei der Entscheidung hilft dann vielleicht die  Erinnerung daran, wo es anschließend das lukrativere Kuchenbüfett gibt.) Auch hilft bei der Orientierung die bewährte Programmbroschüre der Initiative „Dorfkirchensommer“.

Aber auch Lesungen und Vorträge, Ausstellungen mit moderner Kunst oder Filmvorführungen sind inzwischen keine Seltenheit in den brandenburgischen Dorfkirchen. Selbst „Public Viewing“ während der Fußball-WM ist kein Tabu,  wenn sich vielleicht auch die Anzahl der Besucher nach dem schnellen Ausscheiden der deutschen Mannschaft diesmal in Grenzen hielt.

In der Tat lässt sich seit geraumer Zeit ein erstaunliches Phänomen beobachten: Während im Sonntagsgottesdienst oftmals kaum die ersten drei Bankreihen besetzt sind, ist der Kirchenraum bei einem Konzert oder einer Lesung oft bis auf den letzten Platz gefüllt. Hier ist etwas gewachsen, was sich sehen lassen kann. Kirchengebäude und Kirchenräume lassen sich nur dann erhalten, wenn sie genutzt werden. In vielen Fällen sind es inzwischen Fördervereine, die sich aktiv bei der Organisation der vielfältigen Veranstaltun-gen engagieren. Sicher gibt es da manchmal auch Konflikte zwischen dem Anspruch der Organisationen und der berechtigten Vorstellung des Pfarrers oder des Gemeindekirchenrates über die Würde des sakralen Raumes. Aber das sind Ausnahmen und durch ein klärendes Gespräch lassen sich derartige Differenzen in der Regel auch recht schnell beseitigen. In den allermeisten Fällen gewinnen die Kirchengemeinden durch die Öffnung ihrer Kirchen und durch  die  konstruktive Zusammenarbeit mit Vereinen, Kommunen und Kultureinrichtungen wichtige Partner, denen die schwierige Aufgabe der Bewahrung der historischen Gemäuer ebenso am Herzen liegt wie ihnen selbst. Auf die Dauer wird die Konservierung von kirchlichen Denkmalen als reiner Selbstzweck nicht ausreichen.

PREMIERE von „Lysistrate“ am 24.8. in der Dorfkirche Neu Zittau
Foto: Hanns-Peter Ermert

Dazu kommt, dass in vielen Regionen abseits des sogenannten Speckgürtels die Kirchen die letzten verbliebenen öffentlichen Orte sind. Die kulturelle Infrastruktur auf dem Lande ist oftmals so ausgedünnt, dass den Kirchen eine immer wichtigere Rolle als Kultur- und Bildungsorte zugewachsen ist. In Ge- genden mit dramatischen demographi- schen Entwicklungen bieten mitunter nur noch die Kirchen eine kulturelle Heimat. Und vielleicht besucht der eine oder andere Konzertbesucher dann am kommenden Sonntag auch den Gottes- dienst, wenn die Schwellenangst erst einmal überwunden ist.

Seit einiger Zeit hat in Deutschland der Begriff „Kulturkirche“ Konjunktur, ohne dass jemand  so  richtig erklären kann, was das eigentlich ist – eine Kul-turkirche. Wenn man sich den lateinischen   Wortstamm   von   Kultur – „colere“ – anschaut, dann entdeckt man, dass dieser Begriff ursprünglich aus der Landwirtschaft stammt. „Colere“ bedeutet den Acker bestellen, bebauen, aber auch pflegen und bewahren. In diesem Sinne sollte eigentlich jede Kirche eine Kulturkirche sein.

Mit der Öffnung ihrer Kirchen sind viele Gemeinden inzwischen auf einem guten und richtigen Weg. Und auch das Vorurteil, dass „richtige“ Kunst und Kultur nur in den größeren Städten zuhause ist, dürfte inzwischen ad absurdum geführt sein. Fast fühlt man sich versucht, den Schriftsteller Joseph Roth zu zitieren, der 1928 über seine galizische Heimat schrieb: „Es gibt hier mehr Kultur, als die mangelhafte Kana- lisation vermuten lässt!“ Im Übrigen ist fast überall in unserem Land inzwischen auch die Kanalisation in einem recht ordentlichen Zustand…

Bernd Janowski

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