Auch die Augen sollten fasten

Auf Exkursion mit dem Förderkreis durch die Oberlausitz (2. Teil)

Die zweite Station auf unserer Reise durch die Oberlausitz war Zittau. Man sieht es auf den ersten Blick: es war einmal eine sehr reiche Stadt. Allüberall prachtvolle Barockbauten im Zentrum, die davon künden, wann die Geldquellen besonders reichlich flossen, nämlich im 17. Jahrhundert. Unser fachkundiger Führer Dr. Peter Knüvener, seines Zeichens Direktor der Städtischen Museen Zittau, bestätigt den Eindruck und weist auch auf den Ursprung der einstigen Wohlhabenheit hin, die Tuchproduktion. Da  wir  gerade  bei  Tuchen  sind:  Für eines ist Zittau heute noch berühmt, nämlich das „Große Zittauer Fastentuch“ von 1472, das seit 1999 im eigens dafür geschaffenen „Museum Kirche  zum  Heiligen  Kreuz“ präsentiert wird. Das 8,20 Meter hohe und 6,80 Meter breite Tuch ist so selten und kostbar, dass dafür die größte Museumsvitrine der Welt gebaut wurde.

Mit Fastentüchern, treffend auch Hungertücher genannt, wurde seit dem 11. Jahrhundert in der vorösterlichen Fastenzeit der Altarraum verhängt. Der Grund: auch die Augen sollten „hungern“ und nichts Prachtvolles zu sehen bekommen. Aber gar so schlicht wollte man es bald doch nicht mehr haben und so kamen statt einfacher Tücher bemalte in Gebrauch. Um ein solches handelt es sich auch in Zittau. Es zeigt 90 Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament.

Das Große Fastentuch in Zittau

Da die Fastentücher außerhalb der Osterzeit zusammengerollt irgendwo aufbewahrt wurden, konnte man keine Öl- sondern nur Wasserfarben verwenden. Die aber hielten sich nicht so gut, zudem fing das Leinen oft an, zu schimmeln. Ein Grund dafür, warum die bis zur Reformation überall gebräuchlichen Fastentücher heute so rar  sind. Ein anderer liegt in den wechselvollen Zeitläufen, die ihnen oft übel mitspielten. Dass das Große Zittauer Fastentuch  alle  Widrigkeiten  überlebt  hat, grenzt an ein Wunder. Zuerst geriet es während der Reformation in Gefahr. Der Zittauer Rat schloss sich schnell dem Protestantismus an und der hielt von Fastentüchern nicht viel. Doch gehörte Zittau dazumal noch zum katholischen Böhmen und dessen König verhinderte Bilderstürmerei. Nach vielerlei Irr- und Umwegen war es dem Tuch nach 1945 beschieden, sowjetischen Soldaten als Saunazelt zu dienen. Sie zerrissen es in mehrere Teile und ließen es schließlich ramponiert und ausgebleicht im Wald liegen. In den 90er Jahren wurde es von Spezia- listen im schweizerischen Bern kostenlos restauriert. Sie stellten nur eine Bedingung: es sollte dauerhaft öffentlich gezeigt werden und das geschieht jetzt auch. Seit Eröffnung des Museums 1999 haben rund 700.000 Menschen das Große Fastentuch bewundert. Wie würde das seinen Schöpfer erfreuen, der leider nicht bekannt ist. Er war übrigens nicht nur begabt, sondern auch pfiffig. Wenn man mit Wasserfarben malt, kann man  nichts  korrigieren. Aber der Künstler wusste sich zu helfen: Als er sich in der Reihenfolge von Geburt und Heimsuchung vertat, kennzeichnete er das eine Bild mit A und das andere mit B, um diesen Fehler zu berichtigen. Schauen Sie doch mal, ob Sie die Korrektur entdecken, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben!

Übrigens hat das Große Fastentuch noch ein kleineres Pendant in Gestalt des „Kleinen Fastentuchs“. Es handelt sich um eine monumentale Kreuzigungszene, die 1573, also nach der Reformation entstand und, man höre und  staune,  von  einer  evangelischen Gemeinde in Auftrag gegeben wurde, was für diese Zeit einmalig ist. Manche Traditionen sind eben doch sehr zählebig! Das Kleine Fastentuch ist im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster zu bewundern. In diesem weitläufigen Gebäudekomplex, genauer gesagt in der ehemaligen Kirche der Franziskaner, befindet sich auch der Zittauer Epitaphienschatz, der einen Besuch lohnt.

blick in das Epithaienmuseum

Seit 2017  werden  80,  oft  mit großem Aufwand restaurierte Gedächtnistafeln von Zittauer Bürgern präsentiert, die vom Glauben und Hoffen, vom Schicksal und den Nöten der Menschen des 16. bis 18. Jahrhunderts zeugen. Die Zittauer haben sich mit diesem Projekt stark identifiziert, nicht wenige haben für den Erhalt der Gedächtnistafeln ihrer Vorfahren auch gespendet. Etwa zweihundert Jahre lang hat sich die Epitaphienkultur in der Mittel- und Oberschicht gehalten, dann ist sie abgebrochen. Nur wenige dieser prachtvollen Grabmale haben die Zeiten überdauert, es ist gut, dass sie im Franziskanerkloster eine neue, dauerhafte Heimstatt gefunden haben!

Text und Fotos Elke Kreischer


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