Von Stein zu Stein durchs Münster
Das Doberaner Münster – die Perle der norddeutschen Backsteingotik
Dr. Ralf Lehr ist Geologe mit Schwerpunkt Geochemie und Baustoffingenieur. Er ist in einem Baustofflabor tätig und kennt sich gut mit den Gesteinen aus, die im Nordosten Deutschlands im Verlauf der Jahrhunderte Verwendung fanden.
Die Kirche des ehemaligen Zisterzienserklosters in Bad Doberan gilt als Perle der norddeutschen Backsteingotik. Neben der Ästhetik des Bauwerks trägt auch die reichhaltige und wertvolle Ausstattung zu diesem Ruf bei. Zahlreiche Ausstattungsstücke bestehen aus Naturstein. Angaben zum verwendeten Stein findet man in zahlreichen Veröffentlichungen, allerdings nicht für alle Objekte. So manch eine der Gesteinsbestimmungen wurde, wie man so sagt, „aus dem Bauch heraus“ getroffen.

Das Bauwerk, in den letzten zwei Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts unter Verwendung von Ziegeln des 1232 geweihten Vorgängerbaus als Backsteinbau ausgeführt, weist im Sockelbereich sichtbaren Naturstein auf. Im 19. Jahrhundert ist dieser Bereich mit einem Spritzwasserschutz aus Granitplatten versehen worden, die teilweise aus Findlingen herausgearbeitet und ab 1886 als Werkstein aus Südschweden bezogen wurden. Letzteres trifft auch auf die Schwelle zu, über die man das Münster betritt. Im Rahmen der Restaurierung und partiellen Umgestaltung des Münsters zwischen 1886 und 1900 wurde sie mit eingebaut. Der aus Schonen stammende, sogenannte schwarz-schwedische Granit (Mikrogabbro), aus dem sie besteht, wurde auch für zwei kleine Säulen verwendet, die 1895 für die Rekonstruktion des Oktogons benötigt wurden.
Das zwischen 1400 und 1435 als Grablege für 13 Herzöge errichtete Oktogon wirft aufgrund der Verwendung von Säulen, deren Kapitellgestaltung auf die Mitte des 13. Jahrhunderts verweist, Fragen zur Herkunft auf. Sowohl der Rätsandstein der Kapitelle (und Basen, die ursprünglich Kapitelle waren) als auch der schwarze wallonische Kohlenkalkstein der Schäfte, sind für das mittelalterliche Mecklenburg einmalig. Ob sie schon im Vorgängerbau verbaut waren oder erst zur Zeit der Errichtung des Oktogons ins Münster kamen, ist bislang noch ungeklärt. Der Sandstein zeigt in Folge von röntgendiffraktometrischen und infrarotspektroskopischen Untersuchungen die größte Übereinstimmung mit dem Hildesheimer Sandstein. In der Ausführung der Säulen und der Materialkombination Sandstein und Kohlenkalkstein entsprechen die Oktogonsäulen denen der Paradiespforte des Lübecker Doms. Zu den mittelalterlichen Ausstattungsstücken zählen auch Grabplatten, die sämtlich aus gotländischen Detrituskalkstein bestehen. Sie wurden im 19. Jahrhundert weitgehend aus dem Fußboden ausgebaut und werden heute teils freistehend aufgeständert, teils an der Außenwand von dieser entkoppelt präsentiert. Die Grabplatten des 17. und 18. Jahrhunderts bestehen aus öländischen Orthoceren- oder schonenschen Komstadkalkstein. Im Jahr 1856 wurde für die Neubestattung des zuvor erkundeten Grabs des Fürsten Pribislav (1178 gestorben) nochmals eine Grabplatte aus öländischen Orthocerenkalkstein angefertigt.

Die spätromanische Fünte, das Taufbecken, ist wie die mittelalterlichen Grabplatten aus gotländischen Detrituskalkstein gefertigt. Im Unterschied zu den Grabplatten ist dieser Kalkstein einige Millionen Jahre jünge und stammt aus dem äußersten Süden der Insel Gotland. Die Fünte befindet sich erst seit Ende der 1970er-Jahre im Münster und stammt aus der kriegszerstörten Wismarer Marienkirche.
Herzog Ulrich von Mecklenburg (1527–1603) und seine Gemahlin Elisabeth (1524–1586) gaben zwei Epitaphe für das Münster in Auftrag. Um 1565 war das Hängeepitaph für Magnus III., Herzog zu Mecklenburg (1509–1550), fertiggestellt. Er war der Vetter Herzog Ul-richs und der erste Gemahl von Herzogin Elisabeth. Das Epitaph ist nicht signiert, wird aber Johann Baptist oder Christoph Parr (Lebensdaten unsicher) zugeschrieben. Da die Fassung nicht vollständig ist, ist der zugrunde-liegende Elbsandstein an mehreren Stellen sichtbar. Der Sandstein stammt von einer Lieferung für das Schloss Güstrow, dessen Rohbau 1565 fertiggestellt war. Das zweite Epitaph ist das 1583 fertiggestellte „Große Fürs-tenepitaph“, das in der Werkstatt des Philipp Brandin (ca. 1535–1594) in Wismar angefertigt wurde. Das Schriftfeld besteht aus wallonischen Kohlenkalkstein (Abbauort Di-nant, Belgien) und die Rahmung aus Alabaster (Abbau-ort Chellaston in Derbyshire, England). Für die Beschaf-fung des Kohlenkalksteins war Brandin 1575 selbst nach Dinant gereist. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ließ Herzog Adolf Friedrich I. zu Mecklenburg (1588–1658) in zwei der Kapellen des Chorumgangs manieris-tische Grabdenkmäler für seinen Erzieher, Berater und Kanzler Samuel von Behr (ca. 1575–1621) sowie für sich und seine Gemahlin Herzogin Anna Maria von Ostfriesland (1601–1634) errichten. Die tragenden Bestandteile beider Grabmäler bestehen, abgesehen vom elbsand-steinernen Sockel (Ersatz) des Behrschen Reiterstandbildes, jeweils aus gotländischem Sandstein (Kalksandstein, Abbauort Burgsvik, Schweden). Die getragenen Teile, der Baldachin, der Architrav, das Reiterstandbild Samuel von Behrs und die Körper des Herzogspaares (außer deren Köpfe, die aus Sandstein bestehen), sind aus Holz. Angefertigt wurden beide Grabmäler nach Entwürfen des herzöglichen Baumeisters Ghert Evert Piloot (gest. 1629) durch Franz Julius Döteber (1575–1648) und Daniel Werner (Lebensdaten unklar). Zwischen 1622 und 1626 wurde das Grabmal von Behr geschaffen und von 1626 bis 1637 das Adolf-Friedrich-Grabmal. 1639 wurde letzteres durch schwedische Söldner zerstört und bis 1643 wiederhergestellt. Seit der Restaurierung des Behrschen Grabmals in den Jahren 2018 bis 2019 ist es weiß. Das Adolf-Friedrich-Grabmal ist in der Farbe des Gotland-Sandsteins gefasst.

Bis 1978 stand in der 1900 mit Mettlacher Mosaikplatten gestalteten Fläche vor dem Hauptaltar der Sarkophag Großherzogs Friedrich Franz I. (1756–1837). Seit der Aufstellung des Sarkophags im Dezember 1843 war dieser Standort ein Ärgernis. Heute steht der Steinsarkophag, der 1835 von Großherzog Friedrich Franz I. in Auftrag gegeben wurde, am westlichen Ende des nördlichen Seitenschiffs. Der Entwurf stammte vom Hofbaumeister Georg Adolf Demmler (1804–1886). Angefertigt wurde er in der Steinschleifmühle am Faulen See in Schwerin, die seit 1986 wiederhergerichtet und als funktionstüchtiges technisches Denkmal zu besichtigen ist. Zugrunde lag ein 200 Tonnen schwerer Findling (Alkaligranit) aus Klein Trebbow. Der Sarkophag wiegt rund sechs Tonnen.
Auftraggeber der letzten zwei im Münster errichteten Grabmäler war Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg (1857–1920). Im Jahr 1908 verstarb nach schwerer Krankheit seine erste Frau, Herzogin Elisabeth (1857–1908). Gemeinsam hatten sie entschieden, für sich in der südlichen Chorumgangskapelle des Münsters ein repräsentatives Grabmal errichten zu lassen. Gemeinsam hatten sie auch erste Entwürfe, u.a. eins von dem in Doberan lebenden Hofbaurat Möckel (1838–1915), eingeholt. Dass letztendlich ein Entwurf in exotischem, frühchristlichem Stil favorisiert wurde, hat die Herzogin nicht mehr erlebt. Realisiert wurde ein Entwurf vom Braunschweiger Stadtbaurat Ludwig Winter (1843–1930), dessen Konzeption sich auf einem Entwurf des herzoglich-braunschweigischen Regierungs- und Baurats Hans Pfeifer (1849–1933) zurückführen lässt. Sein 1897 realisiertes Ziborium über dem Altar im Brauschweiger Dom stand Pate für den Winterschen Entwurf.
Das zweite Grabmal, das Letzte, das im Münster Aufstellung fand, ist der Sarkophag der Herzogin Viktoria Feodora (1889–1918). Kurz vor Weihnachten des Revolutionsjahres 1818 ist die junge Frau des Herzogs Adolf Friedrich (1873–1969) an den Folgen einer schweren Geburt in der Rostocker Frauenklinik verstorben. Die Herzogin stammte aus dem Fürstentum Reuß (jüngere Linie), in dem sich auch die Kleinstadt Saalburg befindet. Hier im Marmorwerk Rödel & Co. wurde der Sarkophag hergestellt. Der Saalburger Marmor (Knotenkalk, Handelsname COLOMBRISO), stammt aus dem Steinbruch Kapfenberg bei Pahren, 20 km nordöstlich von Saalburg.
Der Rundgang zu den Natursteinen des Münsters findet seinen Abschluss im nördlichen Seitenschiff. Hier wird den Kriegsgefallenen der Kirchengemeinde aus dem Ersten Weltkrieg mit einem Denkmal aus Cottaer Sandstein (Abbauort südlich von Pirna) gedacht. Mit seiner feinen Flaserschichtung ist der hierfür verwendete Stein ein Paradebeispiel für die Varietät des Elbsandsteins. Links und rechts dieses Denkmals befinden sich Tafeln aus Muschelkalk zum Gedenken an die Opfer und Kriegstoten in der Zeit von 1933–1945. Diese Gedenktafeln wurden von der Kirchengemeinde in Auftrag gegeben und 1985 dort angebracht. Bei dem Muschelkalk handelt es sich um Oberdorlaer Muschelkalk (Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen). Im Unterschied zum für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts typischen unterfränkischen Muschelkalk ist der Muschelkalk aus Oberdorla rund 10 Millionen Jahre älter.


VERWENDETE GESTEINSARTEN
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg war von 1907 bis 1913 Regent im Herzogtum Braunschweig und wählte weitestgehend folgende Dekorationsgesteine:
Ziborium: Untersberger Marmor Kalkstein aus dem Salzkammergut
Sarkophag: Antikmarmor Botticino Kalkstein aus der Lombardei bei Brescia
Vier das Ziborium tragende Säulen: Schäfte bestehend aus Verde antico Serpentinitbreckzie bzw. Ophicalcite Umgebung der nordgriechischen Stadt Thessaloniki
Kapitelle aus gelben sowie Basen aus roten Veroneser Marmor
Knollenkalk von den lessinischen Hügeln östl. d. Gardasees
44 kleinere Säulen: Vert campan Silikatmarmor vom Nordrand der Pyrenäen, Westfrankreich
Sockel des Sarkophags: Lahnmarmor Kalkstein, Steinbruch bei Villmar, Landkreis Limburg-Weilburg, Hessen
Getreppter Sockel des Grabmals: Larvikit Anorthoklas-Syenit, Larvik in Südnorwegen
Gedenktafeln: Orthocerenkalkstein (im Mauerwerk der Grabkapelle) Insel Öland, Halbinsel Hor