Akanthus-Symbolik in Dorfkirchen

Kein Schmuck, sondern eine allgegenwärtige Botschaft an den Gläubigen

Peter Brandes M.A. widmet sich seit einigen Jahren intensiv der bisher unbeachteten Symbolbedeutung des Akanthus-Motivs in der christlichen Kunst.

Beim Betreten einer der vielen meist sehr kleinen Dorfkirchen in Brandenburg, wird der Besucher oft überrascht sein von der sehr schönen und reichen künstlerischen Ausstattung der alten Altäre, Kanzeln oder der Kircheninnenräume. Er sieht sich konfrontiert mit Altarretabeln, deren seitliche Flügel sehr häufig ein ungewöhnliches, reich gestaltetes Rankengeflecht aufweisen, oder er sieht sich umgeben von einer farbigen Ausmalung mit Rankenmotiven, sowohl an den Kirchendecken als auch an den Apsiswänden. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist die kleine Dorfkirche in Raben im Fläming. Aber selbst der kunstinteressierte Besucher wird meist diese schöne Ausstattung einer Kirche lediglich als Schmuck bewundern und sich daran ästhetisch erfreuen, ohne wirklich wahrzunehmen, dass sich hinter all dieser künstlerischen Ausgestaltung ein tieferer theologischer Sinn verbirgt, der von den Künstlern aber immer mitbedacht bzw. zugrunde gelegt wurde und erst der eigentliche Grund zu dieser Ausgestaltung war.

Dieser Beitrag möchte deshalb den heutigen Besucher dieser kleinen Kirchen dazu anregen, sich mit offenen Augen und ein bisschen symbolisch-theologischem Wissen bewusster umzusehen, um zu verstehen, welche Glaubenshoffnung den Gläubigen damals in und durch die künstlerische Bildgestaltung vermittelt werden sollte. Denn die meist sehr kostspielige künstlerische Ausstattung gerade der kleinen, ärmeren Dorfkirchen geschah durchaus nicht mit der Absicht, den Gemeindemitgliedern eine schöne Augenfreude zu bereiten, sondern sie hatte ihren dezidierten theologischen Sinn, den Gläubigen vor allem die Glaubensinhalte bildkräftig vor Augen zu führen, die dann am Altar, der Kanzel oder an den Kirchendecken oft auch in einer bildhaftabstrakten Symbolik zum Ausdruck gebracht wurden. Empfehlenswerte Kirchen sind in Dallgow, Rohrbeck, Raben (Fläming), und Dallmin (Prignitz) zu besichtigen.

Nicht unwichtig ist es zu wissen, dass die meisten kleinen Dorfkirchen ihre schöne bildnerische Ausstattung vor allem in der Zeit des Barocks zwischen ca. 1670 und 1750 erhielten – einige Altäre sind allerdings auch aus älterer Zeit – also in einem Zeitraum nach dem Ende des verheerenden 30-jährigen Krieges (1618–1648), in dem der Glaube an Gottes Güte vermutlich bei vielen Menschen stark ins Wanken gekommen sein dürfte. Waren doch auch viele alte Kirchlein auf dem Lande starken Zerstörungen anheimgefallen und mussten restauriert und innen neu gestaltet werden. Dabei wurde mit der schönen bildnerischen Ausgestaltung sicher auch die Absicht verfolgt, den Glauben an die Lehre Jesu und die Güte Gottes wieder zu stärken und den Gläubigen eine neue Hoffnung auf die Hilfe Gottes in der Zukunft zu vermitteln.

Wie die Forschung feststellte, fanden diese Jenseitsgedanken häufig ihren künstlerischen Ausdruck und Niederschlag in einer Grabkultur, die stark geprägt war von der bildkräftigen Symbolik der Akanthus-Motivik.

Nicht nur am Kapitell, sondern auch als Akanthusbusch, Akanthusrankengeflecht oder als Akanthusblätter erscheint dieses Symbol häufig auf griechischen Grabstelen, auf etruskischen Aschenurnen oder apulischen Grabvasen, aber auch an der als Heiligtum verehrten Ara Pacis in Rom, dem Ehrenaltar für den später vergöttlichten, in den Götterhimmel auferstandenen Kaiser Augustus.

Die Akanthus-Symbolik auf diesen und an anderen antiken Grabmälern bzw. Grabbeigaben kann interpretiert werden als der bildhafte Ausdruck eines letzten Grußes und Wunsches der Hinterbliebenen an den Verstorbenen, dass seine Reise in die Welt der Toten begleitet sein möge von der Hoffnung und Zuversichtsgewissheit der Auferstehung seiner Seele und eines weiteren glückhaften Lebens in der jenseitigen Welt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Menschen in ihrer damaligen Welt einer täglich empfundenen „magisch-durchwirkten Lebenssituation“ im Akanthussymbol eine geheimnisvolle Kraft auf eine gleichsam mystische Weise wirk-sam sahen. Sie betrachteten es vermutlich als ein heiliges Symbol, das für sie die Bedeutung der Auferstehung in sich trug und ihnen seelisch erfahrbar war. Folglich glaubte man wohl auch daran, dass sich die Kraft des Symbols auch auf den Verstorbenen auf magische Weise übertrüge. Die Wissenschaft spricht hier von einer „bild-gewordenen Magie“ des Symbols.

Decke mit Akanthussymbolik in Wustrow

Da Jesus sich selbst als die in ihm verkörperte Auferstehung betrachtet hatte, war es für die christlich gesinnten Künstler und ihre kirchlichen Auftraggeber natürlich sehr naheliegend, die ihnen bereits aus der Antike bekannte, mit dem Auferstehungsglauben verbundene und erfüllte Akanthussymbolik in ihr künstlerisches Schaffen zu übernehmen. Sie übertrugen und bezogen diese Akanthus-Symbolik der Auferstehung auf Jesus, der im künstlerischen Akanthusgebilde bildlich symbolische Gestalt als Auferstandener annahm. Durch seine Selbstbezeugung als Auferstehung bekommt also das abstrakte Akanthus-Motiv seinen Symbolcharakter als auferstandener Jesus. Diese geistige Einheit zeigt sich besonders eindrücklich und anschaulich, wenn der figürlich dargestellte, auferstandene Jesus in direktem Bezug zum Akanthusmotiv gesetzt wird. Dasselbe gilt auch, wenn Jesus als Person ersetzt wird durch eines seiner Symbole: Kreuz, Lamm bzw. Alpha-Omega-Zeichen im Akanthuskranz. Ganz losgelöst vom figürlichen oder symbolischen Bezug zu Christus wird das Akanthusmotiv dann zum selbständigen, stellvertretenden Symbol für Jesus Christus, auf dessen spirituelle Anwesenheit es immer symbolisch verweist.

So ist es folglich der auferstandene Jesus selbst, der in Gestalt der bildkräftigen Symbolik eines Akanthus-Wurzelbuschs, eines Akanthus-Rankengeflechts, eines Akanthus-Blattes oder einer einzelnen Ranke dem Betrachter vor Augen steht. Jesus wird in diesen Akanthusgestalten geistig lebendig und tritt in ihnen dem gläubigen Christen im Kirchenraum sowohl am Altar wie an der Kanzel oder häufig auch an der Kirchendecke, gleichsam zu ihnen sprechend, als spirituell anwesender und auferstandener Christus entgegen.

Der gläubige Betrachter dieser Akanthussymbolik soll also erkennen, dass die Botschaft, die den verschiedenen Akanthusdarstellungen innewohnt das an ihn gerichtete Wort Jesu ist: „Wo Du mein Sinnbild siehst, bin ich Dir nah. Vertrau auf mich, denn ich bin für Dich gestorben. Ich habe Deine Sünden getilgt und Dir ein ewiges Leben in Gottes Reich versprochen. So ist Dir die Auferstehung gewiß.“ Es ist also eine Art Glaubensappell, den die christliche Akanthussymbolik an den Gläubigen richtet.

Den interessierten Lesern, die mehr zum Thema erfahren
möchten, steht der Verfasser gern für Gespräche zur Verfügung.
Kontaktaufnahme bitte über die Redaktion.

Der Besucher der kleinen Kirchen in Brandenburg wird nach dem Gesagten nicht allzu überrascht feststelen, dass er sich sowohl vor einem älteren Retabel-Altar wie auch am neueren protestantischen Typus des Kanzelaltars recht häufig mit den besonders in Brandenburg und Umgebung sehr beliebten Darstellungen der Auferstehung der Seele Jesu zu seinem göttlichen Vater im Himmel konfrontiert sieht. Wobei es sich aber ebenfalls um die im Altar bildgewordene Erinnerung an das von Jesus allen seinen gläubigen Anhängern gegebene Versprechen handelt, auch ihnen sei Dank der Kraft ihres Glaubens an ihn und seine Lehre die Erlösung von ihren Sünden und die Auferstehung der Seele zugesagt. Eine Zusage, die den Gläubigen während des Gottesdienstes auch künstlerisch gestaltet vor Augen gestellt werden sollte.

Sich der großen Bedeutung dieser Glaubenslehre bewusst, entwickelten die christlichen Künstler und ihre kirchlichen Auftraggeber im Barock den besonders in Brandenburg speziellen Altartypus des Auferstehungsaltars, dessen gesamter Bildgestaltung das Thema dieser Auferstehungsgewissheit Jesu zugrunde liegt.

Die von mir hier vorgestellte Akanthus-Motivik in der christlichen Kunst als Hinweis auf Jesu Auferstehung bezieht sich ausschließlich auf den christlichen Erfahrungsbereich. Die bereits ab 1400 zunehmend verweltlichte Nutzung der Akanthussymbolik in Palästen, Theatern und vielen öffentlichen Gebäuden diente vor allem der Repräsentation und der ausschmückenden Verzierung dieser Gebäude und darf nicht als christliches Symbol missverstanden werden.

Den interessierten Lesern, die mehr zum Thema erfahren möchten, steht der Verfasser gern für Gespräche zur Verfügung. Kontaktaufnahme bitte über die Redaktion.

DARSTELLUNGSTYPUS DER AUFERSTEHUNGSALLEGORIE

  • Die allegorische Darstellung beginnt am liturgisch wichtigen Altartisch, dort also, wo im Gottesdienst von der Gemeinde das Gedächtnismahl der Eucharistie zur Erinnerung an Jesu Opfer- und Sühnetat gefeiert wird.
  • Darauf bezieht sich und daran erinnert das direkt über dem Altartisch auf der Predella des Retabels gezeigte Gemälde des Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern, bei dem Jesus seinen Opfertod und seine Auferstehung zu seinem Vater am dritten Tag verkündet hatte: (Matth. XVII, 22-23 / Matth. XVI, 21 / Matth. XXVI, 26-28).
  • Diesen im Abendmahlsgeschehen vorausgesagten Opfertod Jesu zeigt zumeist das darüber befindliche zentrale Hauptgemälde mit der Kreuzigung Jesu oder es zeigt Szenen, die auf Jesu Tod Bezug nehmen.
  • Die dem Tod Jesu folgende, von ihm vorausgesagte Auferstehung wird links und rechts vom Mittelgemälde in den zum Himmel Gottes aufstrebenden Akanthus-Rankengeflechten abstrakt-symbolisch dargestellt.
  • Im obersten Teil des Retabels wird abschließend zumeist auf Gottes Himmelreich verwiesen oder, in unterschiedlicher Weise gestaltet, der auferstandene Jesus siegreich (Fahne) und strahlend (im goldenen Nimbus) vor Augen gestellt. Auch erwarten die Engel Gottes die erhöhte Seele

Vorheriger Beitrag
Der Engel von Tintoretto

Zur Geschichte eines Niederlausitzer AltargemäldesRudolf Bönisch ist Diplom-Geologe. Er war Leiter und Initiator von zwei internationalen Orgelmusikfestivals. Seit nunmehr zehn Jahren beschäftigt er sich mit den sakralen Bildwerken in Kirchen […]