Beim Pfarrer auf ‘m Hof

Mit dem Wohnwagen „Qek Aero“ tourt Susanne Atzenroth durch die Kirchenlandschaft

Konrad Mrusek ist Vorstandsmitglied des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.

Links vom Schreibtisch hängt an der Wand eine große Karte der Landeskirche. Darauf kleben, verteilt über die jeweiligen Kirchenkreise, etliche gelbe Zettel mit handschriftlichen Notizen. Susanne Atzenroth ist indes keine Managerin, die etwa Immobilien der Landeskirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO) verwaltet. Sie ist eine freiberuflich fahrende Reporterin, die seit fünf Jahren jeden Sommer mit ihrem kleinen Oldtimer-Wohnwagen durch die Landeskirche kurvt, meist an Dorfkirchen parkt oder in den Gärten von Pfarrhäusern. Die Zettel auf der Landkarte sind somit so etwas wie die Chronik einer ungewöhnlichen Reise, die sich inzwischen in vielen Artikeln von Kirchenzeitungen oder in sozialen Medien verfolgen lässt. Ihr Wohnanhänger vom DDR-Typ „Qek Aero“, Baujahr 1987, der wie ein Doppelbett auf zwei Rädern wirkt, ist inzwischen zum Markenzeichen dieser ungewöhnlichen Touren geworden.

Wenn man Susanne Atzenroth in ihrem Büro in Perleberg fragt, wie es denn zu der Idee kam, mit dem Wohnmobil auf Kirchenreise zu gehen, dann sagt sie mit einem Lächeln. „Ich bin offenbar ein Reisemensch, fuhr schon mit 18 allein für ein halbes Jahr nach Mexiko, als diese Art Urlaub noch eher exotisch war, und war drei Jahre Reiseleiterin in Spanien.“ Doch der konkrete Anlass für

das Wohnwagen-Projekt war wieder eine Karte der Landeskirche. Diese hing damals im Medienhaus der EKBO, wo die Journalistin 2015 ein Jahr in der Redaktion der Kirchenzeitung arbeitete. Als sie die vielen Artikel auf die jeweiligen Kirchenkreise verteilte, entdeckte sie weiße Flecken, fand also Regionen, über die kaum berichtet wurde. Das wollte sie ändern, und als 2018 ihr Sohn in einem Dorf bei Wittstock/Dosse den Qek Aero ausfindig machte, wurde dieser für 2.000 Euro erworben. Bevor Susanne Atzenroth damit auf Tour ging, machte sie sicherheitshalber noch einen Kurs, um mit dem Wohnwagen auch rückwärts ohne Beule in einen Pfarrhof bugsieren zu können. Doch notfalls, so versichert sie, könnte sie das putzige Wägelchen, das bloß 500 Kilogramm wiegt, auch von Hand drehen und bewegen.

„Ein paar Tage beim Pfarrer auf‘m Hof ist etwas anderes, als im Hotel oder auf einem Campingplatz zu nächtigen“, sagt die Reporterin. „Da kommt man in einer Kirchengemeinde wirklich an, kann in Ruhe mit den Leuten reden oder auch den Gottesdienst mitfeiern. Für solch einen Besuch brauche ich bloß einen Stromanschluss und eine Toilette.“ Sie braucht allerdings einige Wochen für die Planung der Tour in ein oder zwei Kirchenkreisen. Sie ist dann jeweils vier Wochen unterwegs mit dem Wohnmobil, stellt zwischendurch ihren Laptop auf den Klapptisch und schickt Porträts von Pfarrpersonen und ehrenamtlich Tätigen, ihre Interviews oder Reportagen an die Kirchenzeitung. Diese werden über einen Zweimonats-Zeitraum im Sommer veröffentlicht, wenn es in den Medien oft eine Saure-Gurken-Zeit gibt, also aktuell nicht so viel los ist.

Das schönste Erlebnis auf den Reisen sei es, begeisterte und engagierte Menschen zu treffen, sagt die Reporterin. Öfter als man glaube, seien Kirchen trotz abnehmender Mitgliederzahl immer noch Treffpunkte in Dörfern, hätten sie einen selbstverständlichen Platz im Dorfgeschehen. Sie erinnert sich zum Beispiel an einen Besuch in Fredersdorf im Fläming, wo die Dorfkirche der wahre Mittelpunkt des Dorfes ist, wo alle Fäden der Aktiven aus etlichen Vereinen zusammenlaufen. „Am wichtigsten ist es künftig, die Kirche in die Dorfgemeinschaft hinein zu holen, damit Orts- und Gemeindeleben sich verbinden.“ Besonders effektiv sind nach ihrer Beobachtung dafür unter anderem Veranstaltungen, bei denen es Kaffee und Kuchen gibt. „Dann kommen viele und bringen etwas mit.“ Dafür müssten die Kirchen aber stets offen zugänglich sein. Wenn es an Kirchenöffnern fehle, gebe es eine gute Methode mit einem Schlüsselkasten mit Zahlenschloss, wie etwa in Schönhagen bei Pritzwalk. Darin sind fünf Telefonnummern notiert, über die man den Code für den Kirchenschlüssel erhalte. „Darüber freuen sich jene, die entweder den Taufengel anschauen wollen oder handwerklich etwas reparieren müssen.“ Ein Kirchenschlüssel hängt übrigens auch bei Susanne Atzenroth, die seit zwei Jahren in Perleberg lebt und in der Kirche auch als Lektorin tätig ist.

Mit ihren Reportage-Reisen möchte die Autorin einen Beitrag dazu leisten, damit Kirchen künftig ihr touristisches Potential besser erschließen, ihre weiterhin vorhandene, spirituelle Faszination nicht verkümmern lassen. „Kirchen liegen doch eigentlich immer an oder auf den Wegen der Menschen“, findet sie. Von ihren Fahrten wird übrigens demnächst ein Reisemagazin erscheinen, in einer Kooperation zwischen Landeskirche und der Tourismusbehörde des Landes Brandenburg, unterstützt von den Kirchenkreisen. Es soll Menschen, die pilgernd, mit dem Rad, dem Auto oder dem Campermobil unterwegs sind, in Wort und Bild jene Touren nahebringen, die Susanne Atzenroth in den letzten Jahren gefahren ist.

„Ich bin nun einmal rum in der Landeskirche“, sagt sie. Doch offenbar hat Susanne Atzenroth noch mehr weiße Flecken entdeckt auf ihrer Karte im Büro, zum Beispiel in der Niederlausitz. Gut möglich also, dass man im Frühsommer auf den Straßen im Süden Brandenburgs wieder so einen klitzekleinen Wohnwagen mit der Aufschrift „die Kirche“ sieht.

IMMER UNTERWEGS

Susanne Atzenroth lebt seit gut 30 Jahren in der Prignitz. Gleich nach dem Fall der Mauer richtete die 1965 geborene Braunschweigerin mit ihrer Familie in Schönhagen bei Pritzwalk den landwirtschaftlichen Betrieb der Großeltern wieder ein – nach einer Ausbildung als Dolmetscherin und teils jahrelangen Aufenthalten in Mexiko und Spanien. Nachdem ihre drei Kinder größer waren, begann sie als freie Journalistin zu schreiben, seit 2012 auch für die evangelische Wochenzeitung „die Kirche“. 2019 startete sie mit ihren Reportage-Reisen durch die verschiedenen Regionen der Landeskirche EKBO. Sie wohnt dabei nicht im Hotel oder einer Pension, sondern parkt ihren DDR-Oldtimer-Wohnwagen, einen „Qek Aero“ jeweils an Kirchen oder Pfarrhäusern.

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