Wiederherstellung der Dorfkirche Wust und ihrer Orgel

Aufgabe – Verlust – Instandsetzung – Wiedergewinnung

Die Wiederherstellung der Orgel der Dorfkirche Wust (Brandenburg) ist ein Detail aus der langen Geschichte zunächst von der Aufgabe der Dorfkirche samt dem Verlust von deren Ausstattung und später von der Instandsetzung des Kirchengebäudes und der Wiedergewinnung der Ausstattung. Der unausgesprochene Wendepunkt dieser Geschichte ist die deutsche Einheit im Jahr 1990. Ohne dieses Ereignis wäre die Dorfkirche eine Ruine und ihre Orgel vergessen.

Orgelbeschriftung Wust

Die Dorfkirche Wust wurde 1882 im neogotischen Stil in Backsteinbauweise errichtet. Der wuchtige Turm gründet auf den Fundamenten des Vorgängerbauwerks. Aus der alten Kirche wurde eine 1846 von dem Potsdamer Orgelbaumeister Gottlieb Heise hergestellte Orgel übernommen. Heise starb 1847. Carl Ludwig Gesell führte die Werkstatt weiter. Sein Sohn Carl Eduard Gesell passte 1881 die Wuster Orgel an die Anforderungen des neuen Kirchenraums und die inzwischen spätromantischen Klangvorstellungen an. 1917 mussten die aus Zinn hergestellten Prospektpfeifen der Orgel für Kriegszwecke abgegeben werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ersetzte man sie durch minderwertige Zinkpfeifen. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Wuster Kirche ohne Schaden.

Schnitt 1: 1966 fand in der inzwischen baulich vernachlässigten Dorfkirche Wust der letzte Gottesdienst statt. 1973 gab der Gemeindekirchenrat aufgrund eines entsprechenden Gutachtens des Kirchlichen Bauamtes die Kirche zum Abriss frei. Der Altar, das Kreuz, die Taufe und die Kanzel wurden ausgelagert. Ein Instrumentensammler kaufte die Orgel für 200 Mark für ein nie realisiertes Orgelmuseum. Die Kirche selbst wurde nicht abgerissen, war aber viele Jahre lang dem Verfall und Vandalismus ausgesetzt.

Schnitt 2: In den Jahren 1991 bis 1995 gelang es dem Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg Drittmittel in beachtlicher Höhe für die bauliche Sanierung des Kirchengebäudes einzuwerben. 1998 gründete sich ein örtlicher Verein (heute KulturWust e.V.), der die Kirchengemeinde bei der Restaurierung der Dorfkirche unterstützte und das Kirchengebäude für kulturelle Veranstaltungen zu nutzen begann. 1999 fand erstmals nach 33 Jahren wieder ein Gottesdienst in der Wuster Kirche statt. 2002 holte die Kirchengemeinde die Kanzel, die Taufe und das Kreuz aus einem Depot in Güstrow zurück. 2011 bis 2014 erfolgte die Sanierung des Kirchturms. Der Kirchenraum erhielt moderne Polsterstühle. Es folgten 2013/14 Restaurierung der Kanzel und 2019-21 Rekonstruktion des Altarretabels. Nun fehlte aber noch die Orgel.

Im Sommer 2019 wurde nach intensiver Recherche besonders der damaligen Pfarrerin Christiane Klußmann die Wuster Orgel in einem Magazin der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) ausfindig gemacht. Pfarrerin Klußmann, Anja Heinecke (Untere Denkmalschutzbehörde) und Matthias Schuke (Seniorchef von Alexander Schuke Orgelbau) verschafften sich eine erste Übersicht über die etwa 200 in stabilen NVA-Munitionskisten verpackten Einzelteilen der Orgel. Es folgte eine gründliche Sortierung sowie Bestands- und Schadensaufnahme durch die Firma Alexander Schuke.

Alexander Schuke hatte 1894 die Werkstatt des verstorbenen Carl Eduard Gesell übernommen. Alexander Schuke ist der Großvater von Matthias Schuke. Inzwischen haben Michael und Johannes Schuke, die Urenkel von Alexander, die Firma übernommen. Im Archiv der Firma Schuke fanden sich eine exakte historische Zeichnung des Orgelprospektes und die genaue historische Disposition der Wuster Gesell-Orgel. Die Firma Schuke erstellte im Januar 2022 ein Angebot für die Restaurierung und den Wiederaufbau der Orgel. In diesem Betrag waren die Kosten der Orgelelektrik noch nicht enthalten. Zur Restaurierung der Farbfassung des Orgelprospektes legte die Restauratorin Jutta Brumme ein Angebot vor. Bevor die Aufträge erteilt werden konnten, musste zunächst die Finanzierung der Kosten geklärt werden. Die Eigenmittel der Kirchengemeinde reichten bei weitem nicht aus.

Daher lud die Denkmalpflegerin Anja Heinecke im Januar 2022 mich als Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen (FAK) und Monika Nebel, Vorsitzende von KulturWust e.V., zu einem Ortstermin in die Wuster Kirche ein. Die 2020 nach Wust zurückgeführten Orgelteile und Kisten lagerten auf der Empore. Die Wiederherstellung der Wuster Orgel erschien nicht nur aus der Sicht der Kirchengemeinde (Gottesdienste) und des Vereins KulturWust (Orgelkonzerte), sondern auch der Denkmalpflege als überaus sinnvoll. Die Orgel soll zudem von Studierenden der Kirchenmusik zu Übungszwecken genutzt werden können. Wenig später sagte der Vorstand des FAK der Kirchengemeinde Wust einen Förderbetrag von 5.000 Euro zu. Frau Heinecke vermittelte der Kirchengemeinde eine Förderung aus GAK-Mitteln (Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz), die 75 Prozent der Kosten übernahm.

Die Angebote dienten zunächst nur der Kostenermittlung. Wegen der Höhe der Gesamtkosten mussten die Arbeiten ausgeschrieben werden. Zum Glück erwiesen sich die Angebote der Firma Schuke und der Restauratorin Jutta Brumme als die günstigsten. Bauleiter Jürgen Wagner rechnet nun mit 144.000 Euro Gesamtkosten für die Restaurierung der Orgel.

Ende August 2024 gab die Restauratorin Jutta Brumme mir einen Einblick in die weitgehend abgeschlossenen Arbeiten zur Restaurierung der Farbfassung des Orgelprospektes. Die erhaltenen Teile zeigten einen Anstrich in einem warmen Grauton. Besondere Partien und Einzelteile (Kreuze, Kreuzblumen, Lilien) waren vergoldet. Das war mit Ausnahme der vergoldeten Partien aber nicht die originale Farbfassung. Ursprünglich war der Orgelprospekt mit einer ölhaltigen holzimitierenden Lasur behandelt worden. Dunkle Rottöne markierten die Kanten. Die Überdeckung der differenzierten Farbanstriche des neogotischen Stils durch gedeckte oder gar monochrome Töne war in den 1960er-Jahren die angesagte Mode. Leider erfolgte der graue Überstrich der Wuster Orgel damals mit einer Alkydharzfarbe, die die ölhaltige historische Lasur durch Verbindung mit deren Grundierung zerstörte. Wegen der stilistischen Entsprechung zu dem im neogotischen Stil restaurierten Altarretabel wäre die Rückführung der farblichen Fassung des Orgelprospektes auf die historische Version zwar wünschenswert, aber auch sehr arbeits- und kostenaufwändig gewesen. Die Kirchengemeinde entschied sich daher für die Restaurierung der grauen Farbfassung. Die Restauratorin mischte ein Mattierungsmittel bei, um zu viel Glanz zu vermeiden. Die Restaurierung der vergoldeten Partien erfolgte als eine aus drei Tönen gemischte Bronzierung. Zwei Fialen (gotisierende Spitzen) und die Rückseite des Orgelprospektes bleiben in der historischen Farbfassung erhalten, so dass eine spätere Restaurierung der originalen Fassung möglich ist.

Mitte September hatte ich die Gelegenheit, den Aufbau der Orgel auf der Empore der Wuster Kirche mitzuerleben. Während Mitarbeiter der Orgelbaufirma Alexander Schuke die neuen aus Zinn gefertigten Prospektpfeifen einsetzten, erklärte Lukas Koallick, bei der Firma zuständig für Restaurierungen und Rekonstruktionen, dass die von Carl Eduard Gesell 1881 angefertigte, jetzt im Archiv der Firma Schuke aufbewahrte Originalzeichnung des Orgelprospektes im Detail so genau ist, dass die für die Anordnung der Prospektpfeifen maßgebliche Fußlinie auf den Millimeter rekonstruiert werden konnte.

Der Arbeitsaufwand bei der Restaurierung der erhaltenen Holzpfeifen war erheblich: Es mussten wurmzerfressene Partien herausgeschnitten und ergänzt werden. Alle Hobelarbeiten wurden grundsätzlich in Handarbeit ausgeführt. Fugen wurden aus restauratorischen Gründen mit Warmleim geschlossen. Entsprechend wurde bei der Rekonstruktion der fehlenden Holzpfeifen vorgegangen.

Bemerkenswert bei der Restaurierung der Wuster Orgel ist, dass vereinzelt noch Bauteile in gutem Zustand erhalten sind, die schon 1846 von Gottlieb Heise hergestellt wurden, darunter ein Rohrflötenregister und die Manualklaviatur. Die Klaviatur besteht umgekehrt wie bei modernen Klavieren aus schwarzen Untertasten (Ebenholz) und weißen Obertasten (Bein).

Die überlieferte Zeichnung Gesells zeigt nur den Orgelprospekt, also die Schauseite der Orgel. Eine besondere Herausforderung stellte daher die Rekonstruktion des in die Tiefe gehenden hinteren und überwiegenden Teils des Orgelkastens dar, denn der hatte sich nicht erhalten. In diesem Teil befindet sich die Windtechnik, u.a. der Balg, der Kalkantenbalken zur Winderzeugung durch Fußtreten, die Windkanäle und die Windladen. Schwierig zu entscheiden, aber von zentraler Bedeutung für die Dimensionierung des Orgelkastens war die Frage, ob die bauzeitliche Balganlage innerhalb oder außerhalb des Orgelkastens angeordnet war. Zu beiden Lösungen gibt es Beispiele aus der Werkstatt Gesells. Lukas Koallick ist stolz darauf, sich für die innere Lage entschieden zu haben. Die entsprechende bauzeitliche Dimensionierung des Orgelkastens konnte nämlich erst später nachgewiesen werden.

Obgleich die Wuster Orgel mit sechs Manualregistern und zwei Pedalregistern eher klein ist, wird sie wegen der eingebauten Oktav-Koppel in der ausgezeichneten Raumakustik der Wuster Kirche wie eine ganz große Orgel klingen, prognostiziert Lukas Koallick. Bei der Einweihung der restaurierten Orgel zu Weihnachten 2024 wird man sich davon überzeugen können.

Hans Tödtmann

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