Von Engeln, Dachböden und einer Verhaftung

Bericht von der Exkursion „Taufengel in der Prignitz“ am 8. Juni 2024

Exkursionsgruppe vor der Fachwerkkirche Plänitz

Dem pünktlichen Start ab Berlin Ostbahnhof folgt die präzise zeitliche Umsetzung der Etappen. Hut ab vor Ihrer Planung und Durchführung, Frau Riesberg! Dass wir heute den Sonnenhut ziehen können, kommt zur allgemeinen Freude hinzu.

Kreuzkirche Neustadt (Dosse) (1673–96)

Wir sind zeitig in Neustadt (Dosse) und erhalten die Zugabe zu den fünf geplanten Kirchenbesichtigungen gleich vorab. Frau Dorit Geu, Pfarramtssekretärin der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Neustadt (Dosse), die unsere Gruppe auch für die Dorfkirchen in Plänitz und Zernitz begeistern wird, gibt sachkundige Hinweise zur Architektur und Ausstattung des barocken Zentralbaus der Kreuzkirche. Der Grundriss hat die Form eines Plus-Kreuzes. Der östliche Kreuzarm ist durch den Altar und die Orgelempore gefüllt. Die anderen drei Kreuzarme enthalten repräsentative Portale, darüber doppelgeschossige Emporen. Die hohen rundbogigen Fenster ziehen den Blick nach oben in die zentrale Kuppel. Eine sehr wirkungsvolle Architektur – aber über einen Taufengel verfügt die Kreuzkirche nicht.

Fachwerkkirche Plänitz (1709)

Die äußere Form der barocken Patronatskirche in Plänitz erinnert an eine Bonbonniere. Ihr polygonaler Grundriss wird aus elf Fachwerkwänden gebildet, die als Ständerwerk ohne sichtbare Querriegel gestaltet sind. Die grundlegende Sanierung der Kirche und die Restaurierung ihrer zuvor ausgelagerten Ausstattung beanspruchten fünfzehn Jahre (1994–2009). Es hat sich gelohnt! Der schöne bauzeitliche Kanzelaltar stammt aus der Werkstatt des Havelberger Meisters Heinrich Joachim Schultz. Ihm wird auch der um 2000 auf dem Dachboden wiederentdeckte Taufengel zugeschrieben. Der Körper des Taufengels ist aus Lindenholz geschnitzt, die Flügel aus Nadelholz. Das Gewand ist in weiß, blau und Gold gefasst. Da neben dem Altar ein Taufstein von 1598 in Gebrauch ist, schwebt der Engel heute im hinteren Kirchenbereich.

Feldsteinkirche Zernitz (1459/63)

In der Außenansicht wirkt die Zernitzer Kirche recht gedrungen. Das kurze Schiff lehnt sich schutzsuchend an den wuchtigen schiffsbreiten Turm an. Die Fassaden der gotischen Kirche sind derart verputzt, dass die Feldsteine zu sehen sind. Ritzungen im Putz zeigen ein Fugenmuster. Der die Ostwand des Kirchenschiffs beherrschende barocke Kanzelaltar von 1722 mit den beiden den Schalldeckel scheinbar tragenden Engeln stammt wiederum aus der Werkstatt H. J. Schultz. Der Taufengel ähnelt in seiner weiß-blau-goldenen Fassung dem in Plänitz. Typisch für die Werkstatt Schultz ist die Fältelung der Engelsgewänder. Von Schultz sind nicht weniger als acht Engel erhalten. Das erleichterte die Rekonstruktion der in stark mitgenommenen Zustand wiederum auf dem Dachboden der Kirche aufgefundenen Zernitzer Engelsfigur. Mitgenommen im Wortsinne wurde ein Engelsflügel. Er wurde glücklicherweise vor der Restaurierung zurückgebracht. Die erhaltenen Holzteile des Engels wurden wegen ihres Holzwurmbefalls begast und weisen mit Absicht noch die Fraßlöcher auf, während ergänzte Teile ohne solche Spuren sind. Höhepunkt der Besichtigung ist der „Flug“ des Engels in die Höhe: Der linke Engel des Kanzelaltars bekommt Besuch. Zu sehen ist jetzt auch die unbearbeitete Rückseite der Engelsflügel.

Feldsteinkirche Holzhausen (um 1440, lt. Dehio Anfang 14. Jh.)

Holzhausen

Das Äußere der frühgotischen Holzhausener Kirche ähnelt mit dem schiffsbreiten Turm der Zernitzer Kirche. Hier sind jedoch die Feldsteine sauber gespalten und ohne Putz. Wir treten ein durch das niedrige, einfach gestufte Feldsteinportal in der Nordfassade. Die schmalen spitzbogigen Fenster geben dem Innenraum trotz des Sonnenscheins nur sparsames Licht. Die Prinzipalstücke Altar, Kanzel und Taufengel sind barock. Der Taufengel wird wiederum H. J. Schultz zugeschrieben. Er fand sich wie seine zuvor gesehenen „Schwestern“ – die Engel von Schultz wirken weiblich – arg beschädigt auf dem Dachboden der Kirche. Die Haltung und Gestaltung des Holzhausener Engels weicht jedoch von den vorher gesehenen Engeln ab. Er hält den Lorbeerkranz für die Taufschale in der linken Hand und in der rechten jetzt einen grünen Plastik-Palmwedel, vormals vielleicht einen holzgeschnitzten Palmzweig oder ein Spruchband. Ein weiterer Unterschied ist, dass bei der Restaurierung des Engels auf die Rekonstruktion der farbigen Fassung verzichtet werden musste.

Dorfkirche Kötzlin (1775)

Kötzlin

Mit Unterstützung unseres „Förderkreises Alte Kirchen“ wurde der in der spätbarocken Saalkirche in Kötzlin fragmentarisch aufgefundene Taufengel 2014 restauriert. Dörte Busch, die die Exkursion als Expertin des Brandenburgischen Landesdenkmalamtes fachkundig begleitet, spricht von „Pfefferkuchen-Fraß“ durch den Holzwurm. In einer Dokumentation, die wir einsehen können, belegen Fotos den erschreckenden Grad der Zersetzung des Engels. Uns erstaunt, dass da noch etwas zu machen war. Gar nicht mehr vorhanden waren die Füße und die rechte Hand. Auf deren Rekonstruktion wurde daher verzichtet. Ein 90-jähriges Mitglied des GKR berichtet über die Auffindung des Taufengels auf dem Dachboden der Kirche bei einer Dachreparatur. „Es rieselte aus sämtlichen Löchern.“ Der Handwerker schlug vor, ihn zu seinem kunstverständigen Onkel zu bringen. Diese Aktion bescherte ihm die Verhaftung durch die Polizei. Für eine Nacht wurde er „eingelocht“. Die Befürchtung war: „Der verscherbelt den Engel in den Westen“. Der 90-Jährige fährt fort: „Nun hängt er so etwas grau da.“ Die Denkmalbehörden entschieden sich nämlich ähnlich wie in Holzhausen wegen der schwachen Befundlage gegen eine Neubemalung, obwohl unter der Achsel der Engelsfigur Blau zu sehen ist und goldene Absätze des Gewandes und ein rosafarbenes Gesicht nachzuweisen sind.

Dorfkirche Stüdenitz (1856–62)

Stüdenitz

Die für ein Dorf ungewöhnlich große Kirche wurde bald nach der Mitte des 19. Jahrhunderts als Backsteinbau im neugotischen Stil errichtet. Die aufwändige Innenbemalung, die Kanzel und die Orgel sind bauzeitlich und wurden im vergangenen Jahrzehnt restauriert. Der „Kinderengel“, ein hölzerner, farbig gefasster barocker Putto mit auf dem Kopf getragener muschel-förmiger Schale, gehört allerdings nicht zur bauzeitlichen Ausstattung dieser Kirche. Vielleicht stammt er aus dem Vorgängerbau oder einem Herrenhaus. Ob er wirklich ein Taufengel war, ist nicht gesichert.

Applaus und herzlichen Dank an Frau Riesberg, Frau Busch und die örtlichen Akteure und Akteurinnen!

Ulrike Hoffmann / Hans Tödtmann

MEHR DAVON …

Eine zweite Exkursion fand am 22. Juni mit Peter Heinecke statt. Besucht wurden die Dorfkirchen von Hohenwalde, Booßen und Petersdorf bei Briesen sowie die Stadtpfarrkirche St. Gertraud in Frankfurt/Oder. Die Gruppe wurde auf das herzlichste in den Gemeinden begrüßt und erhielt viele sehr interessante Informationen über die Kirchen und das Gemeindeleben vor Ort. Das regte die Teilnehmenden zu ausführlichen Gesprächen an. Herzlichen Dank an Peter Heinecke für die Organisation und Begleitung!

Die letzte Exkursion des Jahres 2024 führt am 9. November in die Luckauer Niederlausitz.

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Restaurierung der Wandmalerei

Die Kirche in Lühsdorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark musste in den Jahren 2020–22 saniert werden, da bei dem Bau 1901 ein statischer Fehler sozusagen miteingebaut wurde.

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Unser Mitteilungsblatt „Alte Kirchen“ berichtete in der Vergangenheit mehrfach über interessante emblematische Bildzyklen in brandenburgischen Dorfkirchen.

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