Was Grabmale uns erzählen können …

Außergewöhnliches Epitaph in Ketzür

Epitaph in Ketzür

Nordöstlich von Brandenburg liegt ein anscheinend unbedeutendes 260-Seelen-Dorf in den Salzwiesen des Beetzsees. Bei näherem Hinsehen fällt allerdings die Kirche auf: ein kleiner siebeneckiger Zentralbau aus Backstein mit mehreren unterschiedlichen Anbauten. Der Name Ketzür ist slawischen Ursprungs und deutet auf die Auseinandersetzung zwischen Wenden und Askaniern hin. Das ungleiche Siebeneck wird auf das 13. Jahrhundert geschätzt.

In dem großen rechteckigen Anbau befindet sich das überdimensionale Epitaph des Magdeburger Bildhauers Christoph Dehne für den 1609 verstorbenen kurfürstlich brandenburgischen Hofschenk Heino von Broesicke aus weißem und schwarzen Marmor und Alabaster gearbeitet und 1613 fertiggestellt.

Die Familie von Broesicke ist ein altmärkisches Uradelsgeschlecht. Der Name taucht bereits bei Kaiser Karl IV. auf. Es besaß diverse Dörfer, Ländereien und andere Besitzungen. Es war üblich, dass die männlichen Familienmitglieder in den Johanniterorden aufgenommen wurden.

Die Grabmalskunst in Form eines Epitaphs entspringt dem wachsenden Repräsentationsbedürfnis des städtischen Bürgertums und Adels und erlebt ab 1550 im protestantischen Kirchenraum eine neue Blüte. Der Verstorbene will sich als Gläubiger in Erwartung der Gnade zeigen, gleichzeitig als fürsorgendes Familien- und Gemeindemitglied. Das Epitaph als Gedächtnismal ruft zum dankbaren Gedenken an ein vorbildhaftes Leben im evangelischen Glauben auf. Dazu gehören auch die Darstellung der gesamten Familie in vollplastischen, halblebensgroßen Figuren und die Familienwappen.

Stilistisch lassen sich viele dieser Kunstwerke dem Manierismus zuordnen, aus Italien stammend und dann besonders sich nordalpin ausbreitend mit unter anderem exaltiertem Knorpelstil. Die größte Anzahl dieser Epitaphien gab es im Dom von Königsberg.

Die Bildmotive sind seit Luthers Dictum „sola scriptura“ eingeschränkt: keine Legendengeschichten, keine „3 heiligen Mädchen“, keine Nothelfer. Die Bildthemen müssen aus der Bibel stammen. Also werden vorwiegend christologische Inhalte, die Trost und Hoffnung spenden, aber auch zunehmend Szenen aus dem Alten Testament dargestellt, die im Sinne der Typologie Geschehnisse des Neuen Testamentes vorwegnehmen. Die Reliefplatten sind meist Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt, die Einzelfiguren davor Evangelisten, Apostel, Tugenddarstellungen wie Glaube, Liebe, Hoffnung. Aus dem Alten Testament finden wir Figuren wie Moses und König David, selten auch mal Melchisedek und Abraham.

Einer der faszinierendsten Texte des Alten Testaments handelt von den Visionen des Propheten Hesekiel. Zur Vorgeschichte: Propheten haben eine wichtige Rolle als Mittler zwischen Gott und Volk gespielt. Nur in der frühen Patriarchenzeit hat sich Gott selber gegenüber Abraham, Mose, Josua offenbart. Mit Entstehung des Königtums (Saul, David, Salomon und weitere) traten erstmals Propheten auf, deren Funktion sich anfangs darauf beschränkte, als „Königsmacher“ zu wirken. Salomon brachte dem jungen Reich viele Jahre des Friedens und Wohlstands, mit dem Bau des Tempels auch einen kultischen Mittelpunkt. Das Volk aber murrte über die „Fronarbeit“. Mit zunehmendem Verdruss über sein erwähltes, aber immer wieder sündigendes Volk überließ Gott den Propheten dann die unangenehme Aufgabe, zu warnen und zur Umkehr zu rufen. Umsonst: Nach dem Zerfall des Reiches in die Teile Juda und Israel warteten die Nachbarstaaten schon darauf, ihren Besitz zu vergrößern. Erst wurde das zerstrittene Israel Beute der Assyrer, dann fiel Juda in die Hände Nebukadnezars. Der Tempel in Jerusalem wurde zerstört und die Oberschicht des Volkes für ca. 50 Jahre in die Fremde nach Babylon geführt (597 v. Chr.). Zu diesen Verbannten gehörte auch Hesekiel, einer Priesterfamilie entstammend und beauftragt, das Volk zu mahnen. Babylon war groß, eine Weltstadt, und attraktiv, also eine Versuchung für die Juden. Je länger das Exil dauerte, umso eher war man bereit, vom Glauben abzufallen. Jetzt reichte es nicht mehr, zu warnen und Unglück zu prophezeien. Es musste eine Hoffnung gezeigt werden auf eine neues Friedensreich in der alten Heimat. Und Hesekiel prophezeite die Auferstehung der toten Gebeine, die Vernichtung der Feinde und die Rückkehr des Volkes nach Israel.

Da das Relief in Ketzür schlecht zu erkennen ist, zeige ich Ihnen hier eine Platte, welche von der handwerklichen und künstlerischen Seite her deutlich qualitätvoller ist und detailgetreu den Bibeltext wiedergibt. Deswegen hängt dieses Werk auch im Bodemuseum.

Mit dieser Vision und ihrer Auslegung kommt ein Motiv ins Alte Testament, das es nie zuvor bei den Juden gegeben hat und das zu einem Hauptglaubenssatz des späteren Christentums geworden ist: Die Toten werden auferstehen und zu neuem Leben erwachen.

Relief von Leonhard Kern, Alabaster, 1640. Hesekiel auf dem Gräberfeld und die Auferstehung der Toten

„… der Herr führte mich auf ein weites Feld, das voller Totengebein lag, … sie waren alle verdorrt. So spricht der Herr: … ich will einen Odem in euch bringen, dass ihr sollt lebendig werden. Ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen und euch mit Haut überziehen …Die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein …Und der Herr sprach: Wind, blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden … das ist das ganze Haus Israel, … das ich wieder in ihr Land bringen will.“ (Auszug aus der Bibel, Hesekiel Kapitel 37, 1-14 (Auszüge)

Durch Christi Kreuzestod und seine Auferstehung haben wir den typologischen Bezug zum Neuen Testament und dem Heilsplan Gottes. Dass diese Hesekiel-Darstellung während des Dreißigjährigen Krieges Hochkonjunktur hatte, ist wohl verständlich.

Eine kleine Glosse zum Schluss: Diese lange Epitaphplatte mit den gesamten Aufbauten ruht auf den kräftigen Schultern zweier massiver kniender Sandsteinfiguren, Adam und Eva. Dummerweise ist bei der Aufstellung eine Verwechslung geschehen und so bietet die verführerisch lächelnde Eva die Frucht nun dem übereck stehenden Pfarrer am Altar an und Adam schaut ins Leere.

Dr. Lore Gewehr

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