Brandenburger Thesen
für die Zukunft von Dorfkirchen
Seit Jahren schrumpft die Zahl der Kirchenmitglieder im Land Brandenburg. Viele der insgesamt 1.500 Dorfkirchen werden kaum genutzt. Vor allem kleine Gemeinden im ländlichen Raum stehen vor der Frage: Wie kann es gelingen, unsere Kirche zu erhalten? Ist es möglich, die Bauten wieder als öffentlichen Treffpunkt im Dorf zu etablieren? Gesucht werden neue Denkansätze und Strategien im Umgang mit wenig genutzten Kirchen, Mitnutzungsideen, Visionen und mögliche Kooperationen. Am 10. September 2021 nahm sich die Tagung „Dorfkirchen – geliebt, aber akut bedroht“ in Prenzlau diesen Fragen an. Veranstalter waren die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. sowie die Kooperationspartner der Förderverein Baukultur Brandenburg e. V., das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum und die Brandenburgische Architektenkammer. Als Ergebnis legen die Veranstalter und Kooperationspartner folgende acht Thesen vor (Redaktion: Tina Gebler, Dr. Achim Krekeler, Frank Röger).
1. Dorfkirchen stärken den Ort.
Die kleinen Dorfkirchen vereinen gleich mehrere Superlative: Kulturgeschichtlich wie bauhistorisch sind sie meist das bedeutendste Gebäude eines Dorfes. Oft stellen sie die ältesten öffentlichen und nicht kommerziellen Räume in ländlichen Regionen dar – und zugleich die letztverbliebenen. Sowohl baulich als auch emotional bilden sie den Mittelpunkt des Dorfes. Aus all diesen Gründen wurden viele der Dorfkirchen zum Denkmal ernannt. Viele Menschen haben einen persönlichen Bezug oder Erinnerungen an die Orte. Jedoch stehen auch sie vor der großen Herausforderung, dass sich das Leben auf dem Land auf Grund der demografischen Entwicklungen, der Abwanderung aus ländlichen Regionen und des Klimawandels verändern wird. Die kleiner werdenden Kirchengemeinden sind mit dem Erhalt der Gebäude oft überfordert. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Strategien für den Erhalt zu finden. Nur so bleibt die Kirche im Ort und kann als öffentlicher Raum inmitten der Dörfer wiederbelebt werden.
2. Dauerhafte & regelmäßige Nutzung sichert den Erhalt.
Seit der Wiedervereinigung konnte ein Großteil der Dorfkirchen gesichert oder sogar saniert und restauriert werden. Trotzdem besteht weiterhin ein großer Sanierungs- und Instandhaltungsbedarf. Langfristige Perspektiven für den Substanzerhalt der Kirchengebäude zu entwickeln, ist mit der Frage einer nachhaltigen und regelmäßigen Nutzung verbunden. Ohne Nutzung wird zwangsläufig ein Prozess des langsamen Verfalls von Bauwerk und Inventar einsetzen. Die Kirchengemeinden brauchen Unterstützung von aktiv handelnden Personen vor Ort (z. B. Fördervereine, engagierte Privatpersonen oder Kulturschaffende), die sich kümmern und in einem ersten Schritt gemeinsame Ideen und Visionen für eine angemessene Nutzung der Dorfkirchen entwickeln.
3. Verkauf ist nicht unsere Lösung.
Als nicht kommerzielle Räume haben die Dorfkirchen heutzutage einen hohen gesellschaftlichen Wert. Ein Verkauf stellt daher keine Lösung dar. Dies würde einen Verlust bedeuten, der schwer wieder rückgängig gemacht werden kann. Auf- und Abwärtsbewegungen hat es geschichtlich immer gegeben. Wenn Kirchengebäude aktuell nicht mehr benötigt werden, sollte primär versucht werden, es zu vermieten, zu verpachten oder ein Erbbaurecht zu vergeben. Dies ermöglicht, das Eigentum langfristig zu sichern und kontinuierlich Einnahmen zu generieren, denn Zeiten ändern sich auch wieder. Bevor Kirchen schließen, sollten sie sich deshalb öffnen.
4. Eine Öffnung der Kirchen bietet neue Perspektiven.
Eine Öffnung der Dorfkirchen in Einklang mit ihrer religiösen Nutzung kann eine langfristige Perspektive für das Gebäude, die Gemeinde und das Dorf ermöglichen. Kulturort, Dorfbibliothek oder Übernachtungskirche: Spannende Ideen für Mitnutzungsmodelle wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Projekten und Wettbewerben gesammelt. Wichtig ist, dass die Substanz mit ihren Zeitschichten bewahrt, die Nutzung realistisch bleibt und aus den ganz eigenen Herausforderungen und Qualitäten des jeweiligen Ortes entwickelt wird – ortsbezogen in der Umsetzung, weltoffen für neue Ideen. Gewinnorientierte, gewerbliche Nutzungen sollten vermieden werden.
5. Mit(einander)nutzen. Partizipative Planung braucht Methodik.
Die Öffnung der Kirchen ist ein längerer Prozess, in den verschiedenste Akteur*Innen von Anfang an auf Augenhöhe eingebunden werden müssen – Kirchengemeinden, Fördervereine, Kommunen, Kulturschaffende, Architekt*Innen und Denkmalpfleger*Innen. Der gemeinsame Austausch muss die Akzeptanz von allen Seiten sicherstellen, bringt Ideen und Bedürfnisse zusammen und ermöglicht so nachhaltige Lösungen. Hierfür bedarf es neben einem gemeinsamen Willen vor allem einer Methodik. Es müssen Planer*Innen eingebunden werden, die Erfahrung in der Moderation von partizipativen Planungsprozessen und der Entwicklung von ländlichen Regionen haben. Den üblichen Leistungsphasen (nach HOAI) sollte eine „Phase Null“ zur Bedarfsermittlung vorgeschaltet werden.
6. Schritt für Schritt planen.
In diesen schnelllebigen Zeiten beschleunigt sich auch der Takt, in dem sich die Dinge und Verhältnisse wandeln. Ebenso schnell ändern sich die Erwartungen an die Funktionen eines Gebäudes. Es ist daher sinnvoll, die Jahrhunderte alten Gebäude zu erhalten und für die Gegenwart zu rüsten, zugleich jedoch einen Spielraum für künftige, veränderte Bedarfe und Anforderungen zu lassen. Daher ist die Planung auf zwei Ebenen zu denken. Im ersten Schritt sollte überlegt werden, was zur nachhaltigen Bewahrung der Bausubstanz sofort geschehen muss (z. B. statisch-konstruktive Sicherung). Die Suche nach langfristig sinnvollen Nutzungen bildet den zweiten Schritt. So wird Zeit gewonnen, die ein partizipativer und ergebnisoffener Planungsprozess unbedingt benötigt. Hierbei sollte überlegt werden, welche grundlegenden baulichen Voraussetzungen für neue und erweiterte Nutzungsmöglichkeiten notwendig sind. Es kann sinnvoll sein, zunächst kleine, niedrigschwellige und reversible Interventionen auszuprobieren und zu schauen, wie diese angenommen werden (z. B. multifunktionales Mobiliar, „Champing“ etc.). Nach einiger Zeit sollten diese evaluiert, angepasst und weitergedacht werden.
7. Gemeinsam weiter denken.
Um Erfahrungen auszutauschen und Kräfte zu bündeln, sollten sich verschiedene Akteur*Innen auf unterschiedlichen Ebenen vernetzen. Insbesondere der Austausch der Kirchengemeinden untereinander und mit den Gremien des Kirchenkreises ist sinnvoll, da viele Gemeinden vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Durch Koalitionen können Konkurrenzsituationen vermieden und im Verbund für mehrere Kirchen Nutzungsmodelle gefunden werden. Vernetzung ist auch aufseiten des Diskurses sinnvoll, Die Diskussionen zur Erhaltung der Dorfkirchen stehen zum Glück nicht mehr ganz am Anfang. Mit Hinblick auf das Baukulturjahr 2023 könnten Veranstaltungsreihen oder Workshops mit Akteur*Innen aus anderen (Bundes-) Ländern wichtige Impulse bringen (z. B. Kirchbautage, IBA Thüringen, Zukunft – Kirchen – Räume in NRW etc.). Zudem kann es sinnvoll sein, einzelne Leuchtturmprojekte zu konzipieren oder gar zu realisieren, die Rückschlüsse für das ganze Land Brandenburg zulassen. Ziel könnte z. B. Leitfäden oder Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kirchengemeinden oder Vereine sein.
8. Sich kümmern und optimistisch in die Zukunft blicken.
Nicht für jede der 1500 Dorfkirchen wird es eine schnelle und befriedigende Lösung geben. Es ist deshalb wichtig, nicht in Aktionismus zu verfallen: Die meisten der mittelalterlichen Dorfkirchen haben schon schwerere Zeiten erlebt und dennoch mehr als 600 Jahre überdauert. Anstatt finale Lösungen anzustreben, ist es in vielen Fällen wichtiger, sich kontinuierlich zu kümmern. Alle Kirchen – auch solche ohne klare Nutzungsperspektive – müssen regelmäßig (mindestens zweimal im Jahr) begangen werden. Schäden müssen unverzüglich dem Kirchenkreis gemeldet werden, um diese kostengünstig zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu beheben. Hierzu wurde ein Musterbegehungsbericht für die vielen Ehrenamtlichen erstellt. Zudem wird eine systematische Bestandserfassung aller Dorfkirchen durch das Kirchliche Bauamt in Abstimmung mit den Kirchenkreisen durchgeführt, um den baulichen Zustand zu katalogisieren und daraus bauliche Maßnahmen abzuleiten. Über weitere finanzielle Fördermöglichkeiten beraten die Landeskirche und die Kirchenkreise die kleinen Kirchengemeinden. Die Fördermittelbeschaffung muss jedoch erleichtert und die Fördermittelmenge langfristig erhöht werden. Zudem müssen mehr neue Finanzierungsmodelle konzipiert und private Förderungen aktiviert werden – z. B. Fördervereine, Patenschaften, Crowdfunding etc.
Weitere Informationen:
www.kirchenbau.ekbo.de
www.foerdermittel-ekbo.de
www.fundraising.ekbo.de
www.ekbo.de/wir/umwelt-klimaschutz.html
www.ak-brandenburg.de/baukultur/denkmal-leitfaden
www.baukultur-brandenburg.de
www.altekirchen.de
www.bldam-brandenburg.de