Ein Sgrafitto an der Havel
Die Dorfkirche Göttlin
Andreas Flender ist ehrenamtlicher Baubeauftragter der evangelischen Kirchengemeinde Havelländisches Luch und Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. für den Landkreis Havelland.
Im Westen der Optikstadt Rathenow verrät nur der Straßenname, in welche Richtung es geht. Göttlin mit seinen etwa 400 Einwohnern ist seit der letzten Gemeindegebietsreform ein Ortsteil der Stadt geworden. Nur noch vier Kilometer weiter endet die Straße an der Havel. Aber vielleicht auch dadurch hat sich der kleine Ort am Havelradweg seine Identität erhalten können. Zum Beispiel den unverkennbaren Dorfanger und seine Kirche.
Wenn man vor der Westwand des Kirchturms steht, bleibt der Blick unweigerlich etwas oberhalb der Eingangstür haften. Inmitten der nun wieder weiß getünchten verputzten Wand überrascht ein Sgrafitto das Auge des Betrachters, das Maria mit dem Jesuskind zeigt. Der Begriff erklärt die vor allem zunächst aus Italien bekannte Technik: graffiare = kratzen. Mag eine Skulptur an Kirchen nicht ungewöhnlich sein, der „Inhalt“ der Darstellung in Verbindung mit der Entstehungszeit ist es auf jeden Fall. Das um 1970 entstandene Kunstwerk zeigt Maria mit dem Jesuskind. Der damalige (evangelische!) Pfarrer hatte einen alten Heimatmaler angesprochen, der daraufhin seinen Sohn mit der Umsetzung beauftragte. Hans Zimmermann trug eine Putzschicht auf, in der er das Relief gestaltete und sorgte mit anschließender leicht angerußter Putzschicht für die markanten Schattierungen. Im Rahmen der aktuellen Sanierung wurde ein Finger der Maria wieder ergänzt sowie einige größere Risse geschlossen. Exakte Gründe für den damaligen Auftrag wurden für die Nachwelt nicht dokumentiert. Eine durchaus plausible Erklärung erzählt man sich im Dorf: „Wenn die Russen hier vorbeigefahren sind, durften sie zwar nicht aussteigen. Aber sie sollten wenigstens aus den Fahrzeugen heraus einen Blick auf die Maria haben“. Die Mutter Gottes als kleines Andenken an ihre russisch-orthodox geprägte Heimat. Hierzu muss man wissen, dass Göttlin am Rande eines sehr weitläufigen Truppenübungsplatzes liegt, der in der Zeit der DDR von den deutschen und sowjetischen Truppen genutzt wurde.
Göttlin wurde bereits 1381 unter der Herrschaft derer von Treskow zu Buckow urkundlich erwähnt. Diese Gutsherren hatten auch die Gerichtsbarkeit. Andere Gutsherren waren außerdem die von Katte und von der Hagen. Der Ort gehörte 1785 zur „Sandau’ischen geistlichen Inspektion“. Die heutige Backsteinkirche wurde unter Leitung des Zimmerermeisters Grüneberg 1890 auf den Fundamenten eines Vorgängerbaus erstellt und erweitert. Ihr Westturm ist im Kern mittelalterlich. Im Innern des Gotteshauses konnte zunächst der barocke Kanzelaltar aus dem 18. Jahrhundert erhalten werden. Dieser jedoch, sowie das Gestühl und ein sechsarmiger Kristall-Leuchter wurden in den 1970er Jahren aus heute unverständlichen Gründen komplett entfernt. 2008 wurde auf Eigeninitiative der Gemeinde ein neues Gestühl eingesetzt, ein hölzernes Pult dient heute als Kanzel.
Vor mehr als zehn Jahren begannen die Bemühungen um eine Sanierung. Bekanntlich sind ja aller guten Dinge drei und so wurden im dritten Versuch die so dringend benötigten Fördermittel genehmigt. Allerdings hatten sich die Kosten inzwischen deutlich verändert. War man 2011 noch von etwa 300.000 Euro ausgegangen, rechnet die Kirchengemeinde inzwischen mit Kosten von rund 500.000 Euro. Aus dem Staats-Kirchen-Vertrag wurden 50 Prozent gefördert. In der Bereitstellung des erheblichen Eigenanteils lag daher die eigentliche Herausforderung, die man jedoch mit ganz viel kreativen Ideen gemeistert hat. Außer der neuen Turmspitze (die alte steht wie als Alibi bis heute im benachbarten Pfarrgarten) sticht von außen vor allem das freigelegte Fachwerk hervor. Es folgte eine Hüllensanierung des Kirchenschiffes mit einem komplett neuen Dach. Auch die Fenster wurden wieder hergestellt und bestehende Schäden in den Bleiverglasungen beseitigt. Eine moderne Bleiverglasung erhielt einzig das Fenster im Altarraum. Hier wurde im Ergebnis der Abstimmung zwischen Künstlerin und Gemeindekirchenrat das Ufer der Havel nachempfunden, die unweit von Göttlin vorbei fließt. Im Inneren gefällt ansonsten die fast monochrome Farbgebung, bei der nur die Stuckleiste zwischen Wand und Decke hervorgehoben ist. Nach Entfernung der „Winterkirche“ wirkt der kleine Kirchenraum auch unter der Hufeisenempore wieder als Ensemble. Rückblickend ging es dann doch ganz schnell, innerhalb von zwei Jahren wurde gebaut und Anfang September 2021 die Wiedereröffnung gefeiert. Und – auch das ist nicht ungewöhnlich – nicht alle Details waren durch die Förderung abgedeckt. So wäre die Sanierung der Glocke und des Uhrwerks nicht möglich gewesen. Die Glocke ist ohne Zweifel das älteste erhaltene Ausstattungsstück, sie wurde 1690 von Jakob Wenzel in Magdeburg gegossen und hängt in dem noch recht gut erhaltenen Teil des Fachwerkturms. Sie wurde nun fachlich korrekt an einem Joch aus Eichenholz aufgehängt und erklingt wieder regelmäßig. Mit maßgeblicher Unterstützung des Förderkreises Alte Kirchen konnte am Ende auch diese Finanzierung gelingen.
Über der Glocke wurde die alte Turmspitze abgebaut und eine völlig neue aufgesetzt. Unterhalb von ihr tickt inzwischen wieder das alte Uhrwerk, liebevoll aufgearbeitet von Firma Bittner aus dem brandenburgischen Neuenhagen. Das Zifferblatt hatte ursprünglich einen militärischen Hintergrund: Es zierte einst den Eingang der Rathenower Zietenkaserne, bevor es dort nicht mehr benötigt wurde. Derweil war es verrottet und die Zeit stand buchstäblich still. Die Restaurierung konnte durch eine anonyme Spende ermöglicht werden. Jetzt werden Glocke und Uhr elektrisch angetrieben. Nicht nur die Zeiten der vorbeifahrenden Panzer, auch die der funktionslosen Kirchturmuhr sind in Göttlin also hoffentlich endgültig vorbei.