von Peter Knüvener

Das Choriner Kreuz 

Wie kam das Kruzifix in die Dorfkirche?

Dr. Peter Knüvener ist Direktor der Städtischen Museen Zittau. Er promovierte zur mittelalterlichen Kunst in der Mark Brandenburg.

Kruzifixe des Brandenburger Doms und der Dorfkirche Chorin (links) im Vergleich; Fotos: Peter Knüvener 

In der Choriner Dorfkirche befindet sich ein herausragendes mittelalterliches Kunstwerk. Es ist ein Kruzifixus von beträchtlicher Größe – fast lebensgroß und damit viel zu groß dimensioniert für die Dorfkirche. Wir kennen aus dem dörflichen Kontext zahlreiche Kruzifixe, die man als ehemalige Triumphkreuze ansprechen kann, und meist sind sie viel kleiner, oft wenig länger als ein Meter. In Premslin in der Prignitz gibt es einen interessanten Befund, haben sich dort doch zwei Torsi von Kruzifixen desselben Schnitzers erhalten, eines klein dimensioniert (ursprünglich ca. 50cm) und wohl ehemals als Altarkreuz anzusprechen, eines größer (gut 100cm ursprünglich) und damit als ehemaliges Triumphkreuz zu identifizieren. Das Choriner Kreuz ist bei mäßig großer Kirche also viel zu groß. Daher war der Gedanke schon früh naheliegend, dass das Choriner Kreuz aus einer großen Kirche stammen muss – und welche andere käme in Frage als die Klosterkirche? Doch auch aufgrund der Qualität der Skulptur muss man von einem exzeptionellen Kunstwerk sprechen. Der gestreckte Körper ist sehr ebenmäßig und anatomisch bereits gut beobachtet. Von den Wunden abgesehen ist kein Hinweis auf die schmerzhafte Passion feststellbar, wie es den schmerzhaften Kruzifixen des 14. Jahrhunderts eigen ist (z. B. Stendal, Marienkirche, um 1360), aber der Naturalismus der Kruzifixe des fortgeschrittenen 15. Jahrhundert ist auch noch nicht feststellbar (Berlin, Marien- und Nikolaikirche, um 1480/90 – Siehe: Peter Knüvener, Gestaltwandel mittelalterlicher Kruzifixe in Brandenburg; in: Offene Kirchen. 2007). Das Choriner Kreuz ist um 1400 anzusetzen. Gut vergleichbar ist das (jüngere) Triumphkreuz im Brandenburger Dom, man betrachte zum Beispiel das Lendentuch mit seiner frontalen halbrunden Schüsselfalte und mit den seitlich herabpendelnden Zipfeln.

Triumphkreuz im Doberaner Münster, Westseite 
Klosterkirche Chorin mit dem Kruzifix aus der Dorfkirche; Montage: Thomas Knüvener

Triumphkreuze sind aus Zisterzienserkirchen bekannt – das berühmteste von allen befindet sich in der Doberaner Kirche (um 1380): Eine wahrhaft monumentale Konstruktion, ein raumprägendes Kunstwerk, kombiniert mit zwei Retabeln und einem Kreuz, das über und über mit Reliefs versehen ist. Dazu kommen die Marienfigur des Vertikalbalkens, die nach Osten weist sowie die großen Blätter, die überdeutlich das Kreuz zum Lebensbaum machen. Kann das auch in Chorin so gewesen sein? Es gehört viel Phantasie dazu, sich das vorzustellen, ist doch die Klosterkirche heute jeglicher Ausstattung beraubt. Und doch wird man einen prachtvolle Schmuck vorzustellen haben: Retabel, Leuchter, Behänge, und natürlich auch ein Triumphkreuz, das der Würde des Ortes – wie Doberan landesherrliche Grablege – gemäß ist. Eine Montage zeigt an, wie gut das Kreuz in den Kirchenraum passen würde – eine edle Skulptur in einem edel proportionierten Kirchenraum.

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