von Annett Xenia Schulz

Die Julfeste im Kloster Chorin 

Der Maler Paul Thol und ein unrühmliches Kapitel der Bau- und Restaurierungsgeschichte 

Annett Xenia Schulz arbeitet als freiberufliche Restauratorin. 

Kloster Chorin in einer Skizze von Paul Thol; Fotos: Archiv A. X. Schulz 

In der Beilage zum „Märkischen Stadt- und Landboten“ vom 3. Juni 1928 wird in einem Artikel die Renovierung der evangelischen Kapelle im Kloster Chorin als „Wiederherstellung“ und „Umgestaltung“ beschrieben: „Altar, Kanzel und Chor sind entfernt. An ihrer Stelle wird nach dem Entwurf von Professor Kutschmann-Berlin durch Tischlermeister Samland=Eberswalde eine Holzwand entstehen, die in einzigartiger Weise alle drei nebeneinander vereinigt. In der Mitte steht in einer Nische auf einigen Stufen der Altar mit einem von Künstlerhand entworfenen Bilde als Hintergrund…“ Dieses Bild ist von Paul Thol entworfen und gemalt worden. Thol hatte 1910/11 bei Max Kutschmann an der Kunstgewerbeschule Berlin studiert und war auch einer seiner ersten Meisterschüler. Beide waren bis zum Tod von Max Kutschmann eng miteinander verbunden. In der Kapelle hatte Paul Thol außerdem unter der Leitung Kutschmanns die Schlusssteine mit hölzernen Scheiben versehen sowie die Flächen und Rippen der Gewölbe ausgemalt und verziert.

Die Renovierung im Kloster Chorin war ganz im Sinne von Paul Thol, denn Art und Weise der Umgestaltung entsprachen seinen persönlichen Ansichten über die mittelalterliche Kunst sowie das Handwerk und die Denkmalpflege in Deutschland. In verschiedenen Beiträgen, die Thol in dieser Zeit für die Zeitschrift des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ schrieb, fabulierte er über „ein gesundes Handwerk“, und über „handwerkliches Erbgut“ und fügte hinzu: „Was uns unsere Vorfahren an Erzeugnissen des Handwerkes übergaben, gehört zum Besten des Erbgutes der Väter.“ Dabei verunglimpfte er Juden und Marxisten als „minderbegabte und trockene Seelen“ sowie als „fremde Schädlinge“ („Baubolschewisten“).

Paul Thol genoss die Arbeit in Chorin. Überschwänglich schrieb er: „Im Jahre 1928 wurde mit einer durchgreifenden Instandsetzung der Klosterruine Chorin begonnen. Damit war auch eine Neugestaltung der evangelischen Kapelle im ehemaligen Brüdersaal des Klosters verbunden. Die handwerklich edle Schöpfung der mittelalterlichen Bauleute am Kloster Chorin wirkte auf alle Bauleute, die jetzt an der Wiederherstellung arbeiteten, tief ein und lenkte ihren Sinn und ihre Hand. Dieses gemeinsame Erlebnis handwerklicher Schöpfung verband alle Mitarbeiter zu einer herzlichen Gemeinschaft. Als wir in einer Arbeitspause in der Kapelle am schon fertigen Ofen saßen, meinte Einer: Hier müßten wir im Winter, wenn draußen Schnee liegt und es knackend kalt ist, am warmen Ofen sitzen, die Kerzen müßten brennen und die Orgel leise spielen. Dies war die Geburtsstunde des Julfestes der Bauleute am Kloster Chorin.“


Innenraum der Kapelle in der Fassung von Paul Thol und Max Kutschmann, Postkarte von 1953

Unter den Nationalsozialisten gab es Bemühungen, die christlichen Feiertage durch eigene Feste zu ersetzen, die von einem germanischen Brauchtum inspiriert waren. Der christliche Glaube sollte damit zurückgedrängt und durch die nationalsozialistische Ideologie ersetzt werden. Ein Julfest sollte unter anderem das Weihnachtsfest ablösen. Jul war das Winterfest der Germanen, das meist in der Zeit der Wintersonnenwende stattfand. In Skandinavien ist bis heute Jul die Bezeichnung für Weihnachten.

Interessant ist, dass das Julfest in Chorin bereits fünf Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, also 1928, von Paul Thol in der Kapelle des Klosters initiiert wurde, die zu diesem Zeitpunkt von der evangelischen Kirchengemeinde genutzt worden ist. Das erste dieser Feste wurde am 18. Dezember „mit Orgelspiel, Kindergesang und Gedichtvorträgen“ gefeiert. Im Anschluss fand man sich in der Klosterschänke „zu einem ländlichem Abendessen mit Topfwurst und Pellkartoffeln, Würstchen und Braten“ zusammen, „wobei in harmloser Fröhlichkeit ein paar Stunden freundschaftlich geplaudert wurde.“ 

Die Julfeste wurden bis 1937 noch fünf weitere Male durch Paul Thol organisiert. Der Ablauf ähnelte sich. Immer wurde kurz vor Weihnachten gefeiert. Für das Fest am 22. Dezember 1934 engagierte man eine Sängerin aus Berlin, die zur Orgel sang. 1937 nahmen 50 Gäste teil, von denen 30 aus Berlin kamen. Für die Berliner wurde ein „geheizter Sonderomnibus“ eingesetzt, der am Rathaus in Steglitz losfuhr, mit einem Zwischenhalt am Leipziger Platz. Kurz vor Mitternacht ging es wieder zurück. Die Gäste waren nicht nur „Bauleute“ und ihre Familien, sondern auch Vertreter der preußischen Bau- und Denkmalbehörden nebst ihren Familienangehörigen. Zu den 30 Berliner Gästen gehörten, neben dem Provinzialkonservator Blunck und seinem Sohn Klaus, unter anderem auch der Ministerialrat und Konservator Hiecke und der Oberbaurat Peschke. 

Dieser kleine Kreis entschied über die Instandsetzungspraxis in der preußischen Denkmalpflege auf dem Gebiet des heutigen Brandenburgs und in Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus. Dazu gehörten die Entscheidungen der Konservatoren in den 1930er Jahren, Renovierungen und Restaurierungen mit einem „gestalterischen Anspruch“ auszuführen. Dies bedeutete, dass man Bauteile, Inventare oder Ausmalungen, die in den Augen dieses kleinen Kreises, der auch im Kampfbund für deutsche Kultur organisiert war, als „wesenlos“, „ungesund“ oder „charakterlos“ angesehen wurden, abgebrochen oder entfernt hat. Man war bestrebt, „Einheitlichkeit und Ordnung“ zu schaffen. Bei den Renovierungen in den evangelischen Kirchen dieser Zeit wurden mehrfach Bauteile und Ausmalungen in einer pseudohistorischen Gestaltung hinzugefügt. 

Die Kirchengemeinden, die in den 1920er und 1930er Jahren den Provinzialkonservator Blunck für Entscheidungen oder mit der Bitte um finanzielle Unterstützung hinzugezogen hatten, beauftragten regelmäßig nach der Visitation den Maler Paul Thol. 

Einladungskarte zum Julfest 1936 

Die Freundschaft der Herren überdauerte das Ende der Nazi-Zeit. Man half sich bei der Entnazifizierung und bürgte füreinander in den entsprechenden Schreiben. Paul Thol und seine Familie zogen am Ende der 1940er Jahre in den Westen Deutschlands, nach Gelsenkirchen. Und wieder halfen die alten Kontakte, dieses Mal, um in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Paul Thol konnte seine Arbeit fortsetzen und malte in verschiedenen Kirchen in Nordrhein-Westfalen die gleichen altertümlich-holzschnittartigen Motive, die so gar nicht zu den modernen Gestaltungen der Nachkriegsarchitektur in den fünfziger Jahren passen wollten. 

Die Einbauten und Ausmalungen von Max Kutschmann und Paul Thol in der Kapelle des Klosters Chorin sind nicht mehr erhalten. Sie wurden 1966 entfernt. Der Mitarbeiter des kirchlichen Bauamtes Snell machte damals eine Visitation und empfahl eine Neufassung der Wände und Gewölbeflächen. Die Wände sollten eine weiße Farbe erhalten und die Gewölbeflächen mit roten Rippen gegliedert werden. Er empfahl zudem das Entfernen der hölzernen Verblendungen der Schlusssteine „durch die übergroßen Teller mit Passionsemblemen und goldener Umschrift“. Zu den hölzernen Einbauten äußerte sich Snell positiv und bescheinigte Altar und Altarbild von Paul Thol eine „vorzügliche Qualität“. In diesem Visitationsbericht, der auch an das Institut für Denkmalpflege ging, bestand für ihn kein Anlass, diese Einbauten zu entfernen. 

Allerdings wurde der Bericht mit einem Begleitbrief an den Pfarrer gesandt, in dem der Mitarbeiter des kirchlichen Bauamtes noch eine Alternative benannte, die er gegenüber dem Institut für Denkmalpflege nicht erwähnt hatte: Alles entfernen und die Neuanschaffung von Altar, Kanzel und Bänken im Stil von 1966 durch einen namhaften Künstler. Snell beruhigte den Pfarrer, dass „entscheidende Schwierigkeiten“ vom Institut für Denkmalpflege nicht mehr zu erwarten seien, da „das Interesse des ursprünglich engagierten Konservators Prof. Dr. Schubert, sich inzwischen vornehmlich den Potsdamer Schlössern und Gärten zugewandt hat.

Und so fand ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte des Klosters Chorin sein unrühmliches Ende.

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Die Klosterkapelle 

Seit der Reformation ist Kloster Chorin säkularisiert und seit dem Dreißigjährigen Krieg als ruinenhafte Anlage erhalten. Dennoch sind im Kloster seitdem ohne wesentliche Unterbrechung kontinuierlich Gottesdienste abgehalten worden: Im Chorraum oder im Querhaus der Abteikirche.

von Andreas Lorenz

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