von Franziska Siedler

Das Ideal einer gotischen Ruine 

Karl Friedrich Schinkel und die Rettung der Klosterkirche 

Dr. Franziska Siedler hat in Greifswald Kunstgeschichte und Kunstpädagogik, M. A. studiert und im Fach Kunstgeschichte an der Uni Trier 2013 promoviert. Sie war als freie Kuratorin und Referentin für Kulturtourismus tätig. Seit 2010 leitet Franziska Siedler das Kloster Chorin. 

Das Kloster Chorin bei Neustadt- Eberswalde, F. A. Schmidt, E. Barth, um 1825, kolorierte Umrissradierung, Museum Eberswalde

Das ehemalige Zisterzienserkloster verdankt seinen heutigen Erhalt im Wesentlichen dem umsichtigen Handeln und der klaren Forderung nach Verantwortlichkeit durch Karl Friedrich Schinkel in der Zeit von 1816 bis 1836.

Vor 750 Jahren, ab 1272, wurde das damalige Haus- und Begräbniskloster des johanneischen Zweiges der Markgrafen von Brandenburg errichtet. Als Zisterzienserabtei hatte das Kloster auch nach dem Aussterben des Geschlechts der Askanier 1319 große Bedeutung in der Mark Brandenburg. Nachdem Kurfürst Joachim II. 1539 zum Protestantismus übergetreten war, wurde die Zisterzienserabtei 1542 aufgelöst. Die Bauten und Ländereien gingen in den Besitz der Landesherren über und gehörten zu den Gütern der kurfürstlichen Kammer. Das Kammergut wurde über 300 Jahre lang als Amtssitz und Domäne genutzt. Für die Domäne war ein Domänenpächter für die Erwirtschaftung landwirtschaftlicher Güter verantwortlich, die den kurfürstlichen, ab 1701/02 den königlichen Hof versorgen und auch dem Pächter zu einem gewissen Wohlstand dienen sollten. Da der Pächter in der Domäne auf einem Gelände wirtschaftete, das ihm nicht gehörte, war der Umgang mit diesem nicht sehr sorgsam und nachhaltig. Es gab von Seiten der Landesherren keine Vorgaben zu einem schonenden Umgang mit den Gebäuden. 

Bis zum Gutachten von Karl Friedrich Schinkel 1817 hatte niemand den Schutz der mittelalterlichen Bauwerke gefordert. Wo immer es für „ökonomische Zwecke“ nötig war, wurde zum Beispiel ein Durchgang eingebrochen, ein Dach abgedeckt oder ein Raum stark verändert.

Die malerische Wirkung der Ruine des Klosters Chorin wurde bereits 1787 in den Reisebeschreibungen von Schinkels Lehrer David Gilly über die Land- und Wasserbaukunst Pommerns, Preußens, der Kurmark und der Neumark als „in sehr angenehmer Landschaft“ eingebettet beschrieben. Später wurde dieser Eindruck in zahlreichen Gemälden wiedergegeben. Schinkel war seit 1810 im Staatsdienst und teilte den Patriotismus, als Preußen durch Reformen gestärkt wurde und durch den Sieg über Napoleon sowie durch den Wiener Kongress neue Wege in der Repräsentation des Landes offen standen. Die Identität des Landes schien vor allem im gotischen Baustil und den Bauten der Vergangenheit zu liegen.

Schinkel fand die Reste eines Klosters vor, das seit fast 300 Jahren landwirtschaftlich genutzt wurde. Er zeichnete zunächst den Verfall, dann seine idealisierten Vorstellungen. Zu den bekannten Motiven gehört die Zeichnung „Innere Ansicht der Kirche von Chorin“, sie zeigt die Kirche ohne Gewölbe und mit Stroh auf dem Boden. Die Kirche diente als Stall. 

Ansicht des Klosters Chorin, nordwärts vom Felde, Karl Friedrich Schinkel, Zeichnung um 1816; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin 

Als Initialgeber der Bemühungen um den Erhalt der Klosteranlage in Chorin fertigte Schinkel seine Zeichnungen wohl über einen längeren Zeitraum zum Teil als Vorlagen für eine weitere Verbreitung an. Als Mitglied der preußischen Oberbaudeputation gehörte es zu seinen Pflichten, Kostenvoranschläge für königliche Bauten ab einem Betrag von 500 Talern zu überprüfen. An der ehemaligen Klosterkirche war das Dach defekt. Hier lag ihm ein Kostenvoranschlag vor, zu dem er sich äußern sollte. Schinkel nutzte die Gelegenheit, äußerte sich zum Zustand des Klosters allgemein und forderte konkrete Zuständigkeiten, die einen weiteren Verfall der historischen Anlage vermeiden sollten.

Schinkels Bericht über den Zustand des ehemaligen Klosters Chorin vom 8. Dezember 1816: 

„An eine hochlöbliche 6te General Verwaltung Auf dem Amte Chorin bei Neustadt/Eberswalde befänden sich die bedeutenden Überreste alter Klostergebäude welche in vieler Hinsicht als Werke altdeutscher Baukunst merkwürdig sind und besonders in Rücksicht auf Construction mit gebrannten Steinen unserer Zeit als Muster dienen können. Alle sind zu öconomischen Zwecken eingerichtet worden und zu dem Ende wurde die schöne große Kirche, welche leider ihr Gewölbe schon verloren hat, von mehreren mit einem neuen Dach versehen und zur Scheune und zum Holzgelaß eingerichtet. Bei der Seltenheit solcher Denkmäler wird die Erhaltung eines solchen zur Pflicht und wir ersuchen die hochlöbliche 6te General Verwaltung durch die Regierung gefälligst veranlassen zu wollen, daß dem Amtmann zu Chorin die Erhaltung aller alten zum Kloster gehörigen Gebäude zur Pflicht gemacht werde, auch könnten sich die Baumeister der Provinzen dafür interessieren, damit wenigstens willkürliches Einreißen und Verbauen dieser Alterthümer vermieden und dem Lande der schöne Schmuck solcher Denkmäler erhalten werde.“

Kloster Chorin, Innenansicht der Kirche nach Osten, Karl Friedrich Schinkel, Zeichnung um 1816; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin 

Eine Abschrift des Entwurfs von Schinkels Hand wurde gefertigt und das Original in wenigen Passagen umformuliert. Dieses Schreiben vom 8. Januar 1817 der königlichen Oberbaudeputation haben alle Mitarbeiter dieser Abteilung – Eytelwein, Rothe, Cochius, Schinkel, Funk, Günther – namentlich unterzeichnet. Es bewirkte die erste staatliche Regelung zur Denkmalpflege in Preußen überhaupt. In der Antwort weist der Minister der Finanzen und des Handels die königliche Regierung in Potsdam am 28. Januar 1817 unter Berufung auf die Kabinettsorder vom 4. Oktober 1815 an, „den Beamten zu Chorin bei Neustadt Eberswalde oder dem Kreisbaubeamten die Erhaltung aller in dem Amte Chorin noch stehenden, in vieler Hinsicht als Werke altdeutscher Baukunst merkwürdigen und besonders in Anschauung der Construction mit gebranntem Stein als Muster zu benutzenden Überreste ehemaliger Klostergebäude zur Pflicht zu machen, damit das teilweise schon stattgehabte Einreißen und Verbauen dieser Altertümer wenigstens für die Folge vermieden werde.“ 

Die königliche Regierung antwortete am 8. März 1817, dass sie „deren Erhaltung sowohl dem Amte Chorin als auch dem Districtbaubeamten noch zur besonderen Pflicht gemacht“ habe. Damit wurde erstmals eine Verantwortung für die historischen Bauten formuliert. Der zitierte, leidenschaftlich formulierte Bericht von Karl Friedrich Schinkel hat somit tatsächlich den Anstoß zur Erhaltung des ehemaligen Klosters Chorin gegeben. Er hat die entsprechenden Personen mobilisiert, hat Aufmerksamkeit geschaffen und erschien genau in dem Moment, als sich die junge Disziplin der Denkmalpflege in Preußen formierte und Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für den Umgang mit den historischen Bauwerken des Landes gesucht wurden. Auch wenn es Jahre dauerte, bis konkrete Baumaßnahmen zur Rettung einzelner Bauabschnitte erfolgten, sind am Ende diese Maßnahmen auf das Schreiben vom 8. Januar 1817 zurückzuführen.

Kloster Chorin, Ansicht der Kirche von Osten, Karl Friedrich Schinkel, Zeichnung um 1816; Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin 

Infolge dieses Schreibens forderte man den Pächter des Domänenamtes Wilhelm Nobbe am 28. Januar 1817 auf, die Schweine aus der ehemaligen Klosterkirche zu entfernen. Bei einer planmäßigen Baubereisung im April waren immer noch die Schweineställe vorhanden. Also mussten diese unter Anweisung des Landrates von Wedel-Parlow am 14. August 1817 mit Hilfe der Polizei entfernt werden.

Mit dem Wechsel des Pächters 1831 von Wilhelm Nobbe auf Peter Hinrich Meyer (1784 – 1865) wurde erstmals ein Domänenverwalter eingesetzt, der die mittelalterlichen Bauten in Chorin achtete und sich persönlich für den Erhalt einsetzte. Sein Anliegen war es, Nutzung und Erhalt des Bauwerkes zu verbinden. Neben dem Schutz der Bausubstanz galt das Interesse Hinrich Meyers auch der Umgebung der Klosteranlage. Er plante, den Landschaftspark nach Entwürfen von Peter Joseph Lenné zu gestalten, der die Klosterruine einbezog. Mit diesen Plänen, die aus finanziellen Gründen nicht vollständig umgesetzt wurden, kam er Schinkels Ideal einer gotischen Ruine in der Landschaft noch näher. Die Klosterruine wurde im 19. Jahrhundert als romantisches Denkmal erkannt und erhielt nun auch den Stellenwert eines „Denkmals altnationaler Geschichte“.

Vorheriger Beitrag
Markgräfliches Hauskloster

Als Johann I., Markgraf von Brandenburg, 1258 für sein Seelenheil auf dem Pehlitzwerder am Parsteiner See ein Zisterzienserkloster stiftete, war nicht abzusehen, dass nach der Verlegung dieser Einrichtung nach Chorin die dortige Klosterbaustelle ein Labor für Architekturgestaltung mit gebranntem Ton und damit der Ausgangspunkt für eine prächtige Backsteinarchitektur wurde.

von Dirk Schumann

Nächster Beitrag
Die Klosterkapelle 

Seit der Reformation ist Kloster Chorin säkularisiert und seit dem Dreißigjährigen Krieg als ruinenhafte Anlage erhalten. Dennoch sind im Kloster seitdem ohne wesentliche Unterbrechung kontinuierlich Gottesdienste abgehalten worden: Im Chorraum oder im Querhaus der Abteikirche.

von Andreas Lorenz