Wir haben nicht zu viele Kirchen, wir haben zu wenig Ideen
Was uns bewegt – der Vorstand berichtet
Auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehen und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen.
Robert Musil
Der 29. Evangelische Kirchbautag in Erfurt stand 2019 unter dem Motto „Aufgeschlossen – Kirche als öffentlicher Raum“. In den Referaten wurde immer wieder die Frage nach der Zukunft unserer Kirchengebäude gestellt. Natürlich soll die Kirche überall im Dorf bleiben. Was aber tun, wenn das Dorf nicht mehr in die Kirche geht? Vorgestellt wurden in Erfurt mehrere Projekte für die Nutzungserweiterung oder Umnutzung von Kirchen, die von ihren schrumpfenden Gemeinden schlicht nicht mehr gebraucht werden. Nachlesen und betrachten kann man diese Beispiele nun in der kürzlich erschienenen Dokumentation des Kirchbautages. Da gibt es unter anderem die Herbergskirche in Neustadt a.R., die Bienen-Garten-Kirche in Roldisleben, die Gesundheitskirche in Blankenhain oder die Feuerorgel in der Dorfkirche Krobitz. Seit 2012 wird im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen nach Strategien gesucht, leere oder wenig genutzte Kirchen wieder mit Leben zu füllen. Zuvor hatte eine Analyse der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) ergeben, dass von den etwa 2.000 Thüringer Kirchen 25 Prozent, also 500, gar nicht oder ganz selten genutzt werden.
Ganz so extrem ist es in Brandenburg noch (!) nicht. Aber in den dünner besiedelten und strukturschwachen Randregionen stehen bereits jetzt Kirchen mangels Gemeinde leer. Die demographische Entwicklung und die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft lässt befürchten, dass uns dieses Problem in absehbarer Zeit mächtig zu schaffen machen wird. Kirchen waren und sind öffentliche Räume – oft die letzten verbliebenen im Dorf. Sie für die Zukunft zu bewahren wird langfristig nur durch Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Partnern möglich sein. Dabei sollte das Kirchengebäude möglichst auch in kirchlicher Trägerschaft bleiben. Eine ausschließlich binnenkirchliche Sicht wird auf die Dauer nicht ausreichen.
Ein schönes Beispiel für eine zukunftsweisende Kooperation ließ sich am Pfingstmontag in dem uckermärkischen Dorf Neu Temmen – gelegen im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin zwischen Templin und Angermünde – beobachten. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten wurde hier die erste NABU-Kirche Deutschlands eingeweiht. Die Kirchengemeinde hat einen Kooperationsvertrag mit dem Regionalverband des Naturschutzbundes geschlossen. Weiterhin finden hier Gottesdienste und kirchliche Amtshandlungen statt. Zusätzlich finden hier Veranstaltungen und Ausstellungen zu den Themen Naturschutz und Bewahrung der Schöpfung statt. Schulungen zur ökologischen Landwirtschaft sind ebenfalls geplant. Der Dachboden des Kirchenschiffes ist für Fledermäuse zugänglich; im Turm gibt es Nistkästen für verschiedene Vogelarten. Und um die Kirche entsteht eine Blühwiese, die den Insekten Nahrung bietet. Pfarrer Ralf Schwieger betonte bei der Einweihung: „Wir sind als Kirche immer Stimme der Schwächsten. Und die Schwächsten, das sind heutzutage nicht selten Vögel, Insekten, Kriechtiere und Kröten.“ Und der Sprecher der Initiativgruppe NABU-Kirche Neu Temmen, Prof. Ingo Sack, fügte hinzu: „Wir brauchen dazu das Wissen, das uns der NABU vermittelt, um eine Brücke zu bauen über den Abgrund, den die Menschen selbst geschaffen haben.“
Entstanden ist die Idee einer NABU-Kirche bereits vor sieben Jahren bei einer der traditionellen Kaffeetafeln, die hier regelmäßig nach den monatlichen Gottesdiensten stattfinden, die von Einheimischen und Zugezogenen immer gut besucht sind. In Neu Temmen haben die Akteure der Kirchengemeinde und der Initiativgruppe nicht nur darauf gewartet, dass finanzielle Hilfe von außen kommt. In zahlreichen Arbeitseinsätzen haben sie bei den Sanierungsarbeiten mit Hand angelegt. Die Teeküche baute eine ortsansässige Tischlerfirma und auch der Malermeister, der die Kirchenwände gestrichen hat, lebt im Dorf. Bischof Christian Stäblein, der die Predigt beim Einweihungsgottesdienst hielt, sieht in dem Projekt ein „Modell der Kirche mit Zukunft.“
Bereits 2008 hieß es in der Schlusserklärung des Kirchbautages in Dortmund: „Wir haben nicht zu viele Kirchen, wir haben zu wenig Ideen.“
Text und Foto: Bernd Janowski