Auf dem Weg zum christlichen Zentrum auf dem Lande
Neubeginn in Marienfließ
Theda von Wedel-Schunk ist Mitglied im Vorstand und Regionalbetreuerin des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.
In der Stiftskirche von Marienfließ wird wieder gebetet – jeden Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr hindurch. Wie vor achthundert Jahren – und doch ganz anders. Es sind nicht mehr die Nonnen – Jungfrauen der Prignitzer Adelsgeschlechter – aus der Gründungszeit des Zisterzienserklosters ab 1230, nicht mehr die Stiftsdamen der Zeit nach der Reformation drei Jahrhunderte später bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Heute lebt und betet hier eine christliche Gemeinschaft mit und um Almut und Helmut Kautz, die beide mehr als ein Jahrzehnt als Pfarrehepaar das Gemeindeleben in Brück (Potsdam-Mittelmark) geprägt haben.
Quellort Marienfließ, so ihr Projekt im alten Kloster der Westprignitz. Im Wechsel von Andacht, Gebet und Arbeit bauen sie an einem christlichen Zentrum auf dem Lande, um eine Alternative zur derzeit üblichen und unbefriedigenden Situation von einer Pfarrstelle für oft mehr als 14 Dörfer zu entwickeln. Von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sind die beiden inzwischen als Prior und Priorin eingesetzt, das Amt der geistlichen Leitung des Stiftes ist ehrenamtlich. Und Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands sind schon zugezogen oder auf dem Weg dahin, mit dem Willen zum gemeinschaftlichen Leben und mit Mut und Ideen zur Selbstversorgung bei Nahrung, Energie und Handwerk.
Fester Bestandteil des Alltags ist das öffentliche Gebet für das Seelenheil der Menschen in der Prignitz, der Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Kirche und der Stifterfamilie zu Putlitz. Zum ORA der Zisterzienser gehört aber auch das LABORA. Und hier ganz besonders! Wo früher Konventualinnen in kleinen Gebäuden mit meist einer Dienerin ihr Leben verbrachten, stehen heute abgewrackte Häuschen in unterschiedlichem Verfallszustand.
In fünf Jahren, so die Vision, sind aus den Ruinen respektable Pilgerwohnungen geworden, das Kloster an die großen Pilgerwege angeschlossen. Marienfließ könnte vielleicht aus dem Schatten von Heiligengrabe und Wilsnack heraustreten.
Unklar im Moment auch die wirtschaftliche Gesamtlage: der reichhaltige Land- und Forstbesitz, das finanzielle Rückgrat eines Klosters ist durch Bodenreform, irrtümliche Enteignungen und verlorene Rückübertragungsprozesse minimiert, die strukturelle Versorgungsorganisation klärungsbedürftig. Aber der Blick zurück in die Vergangenheit dieses Ortes macht Mut!
Das Stift Marienfließ, am nördlichen Rand der Prignitz im Ort Stepenitz mit dem gleichnamigen Flüsschen gelegen, wurde 1231 von Johann Gans zu Putlitz gegründet. Es ist das älteste Zisterzienser-Nonnenkloster Brandenburgs, abseits größerer Orte und zentraler Wegverbindungen angelegt, wie es der Orden verlangte.
Zumindest zwei Legenden ranken sich um seine Gründung: So erhielt Kaiser Otto IV. auf einer Pilgereise in Palästina von einem Sultan eine Blutreliquie, die angeblich einige Tropfen des Blutes enthielt, das Christus am Kreuz vergossen hatte. Zurück in Deutschland versteckte Otto IV. die Reliquie zeitlebens. Nach des Kaisers Tod gab sie ein Eingeweihter an Johann Gans weiter, der mit dem Stift einen angemessenen Aufbewahrungsort für das Kleinod schaffen wollte und es den Nonnen anvertraute. 1369 wurde die Reliquie erstmalig urkundlich erwähnt. Oder so: Ein Marienbild, sicher verwahrt in einer Kiste, angefüllt mit einigem Geld, trieb auf der Stepenitz und wurde an Land getrieben. Genau hier wurde dann von Gans zu Putlitz das Gott geweihte Stift errichtet und erhielt den Namen „Marienfließ“.
Alle wesentlichen Epochen der Landesgeschichte, vom Mittelalter über die Reformation, Dreißigjährigem Krieg, Herrschaft der Hohenzollern, zwei Weltkriegen, Nazizeit, SBZ, DDR, bilden sich hier ab. Während der DDR-Zeit und zum Teil noch heute wurde das Stift als Ruhesitz für kirchliche Mitarbeiter und als Altenpflegeheim genutzt. Nun steht Marienfließ wieder einmal an der Wende. Mit ihrem Mut, ihrem Gottvertrauen, ihrer Fröhlichkeit werden diese Menschen dort den richtigen Weg finden.