von Uwe Donath

Ein Schwarzbau und ein Kanzelaltar ohne Kanzel

Altbarnim und Sietzing – zwei Fachwerkkirchen im Oderbruch

Uwe Donath ist Mitglied im Vorstand des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. und als Regionalbetreuer zuständig für die Landkreise Märkisch Oderland und Oderland-Spree.

Dorfkirche Altbarnim; Fotos: Uwe Donath

Wer durch das märkische Oderland fährt, begegnet auf seinen Wegen zahlreichen Feldsteinkirchen, steht in einigen Dörfern aber auch vor Fachwerkbauten. Diese Holzkirchen findet man vor allem in Orten, die im Zuge der Trockenlegung des Oderbruchs entstanden. Als Kolonisten hier heimisch wurden und ehemalige Fischer zu Landwirten, errichteten sie ihre Kirche mit einfachen Mitteln; die Ständerbauweise war ihnen vertraut aus dem Bau ihrer Häuser. Im 19. Jahrhundert stellte dann der preußische Staat den Gemeinden vorbereitete Baupläne für Schulen und Kirchen zur Verfügung.

Kanzelaltar in der Dorfkirche Altbarnim vor und nach der Restaurierung

Kleinbarnim, seit 1949 Altbarnim, gehörte zur dreizehn Kilometer entfernten Mariengemeinde Wriezen. Aber „weil wir an einen schlimmen Ort liegen, da wir im Bruche weit abhängig nach der Kirche sein“ war die Kirche bei Hochwasser nur mit dem Kahn erreichbar. So entschied die Gemeinde, sich ein eigenes Bethaus zu bauen, ohne Zustimmung der Obrigkeit. Es entstand eine winzige Fachwerkkirche, Kosten sparend ausgestattet mit einem Kanzelaltar, der andernorts nicht mehr benötigt wurde. Über der Tür und an der Kanzel steht die Jahreszahl 1776; die versilberte Taufschale und zwei Altarleuchter aus Messing datieren von 1777. Genaues weiß man nicht, es gibt kaum Unterlagen, denn eigentlich handelt es sich ja um einen Schwarzbau. 

Seit 2020 ist der beeindruckende Kanzelaltar nach aufwändiger Restaurierung wieder in seiner barocken Farbigkeit zu bestaunen. Manchen Gemeindemitgliedern erscheint er nun befremdlich, ihnen war die grau-bläuliche Einfarbigkeit in den vielen Jahren zuvor vertraut geworden. Komplett aus Holz gefertigt, wirkt er zu hoch für diesen Kirchenraum. Vermutlich stammt er in Teilen aus der früheren Stadtkirche in Altfriedland, die 1733 wegen Baufälligkeit abgerissen worden war. Die Figur des auferstandenen Christus in der Altarbekrönung, eingezwängt unter der Decke, ist vermutlich noch früher entstanden. Über der Altarmensa wurde eine geschnitzte Abendmahlsszene eingefügt. Dieses Relief wie auch die drei noch vorhandenen Evangelistenfiguren sind wohl ebenfalls viel älter als der Altar. Gerade in diesen figürlichen Darstellungen kommt der Bauernbarock wunderbar zum Ausdruck. Bei näherer Betrachtung bleibt manches rätselhaft. Da gibt es in der Abendmahlsszene eine segnende Hand, die sich nicht eindeutig zuordnen lässt; der Judas trägt nicht ein gelbes, sondern ein rotes Gewand und schließlich sind an der Altarrückseite Fächer – wozu dienten sie? Überraschendes brachte die sorgfältige Restaurierung zutage, als man unter den Übermalungen am Kanzelkorb ein Bild entdeckte: Mose empfängt die Gesetzestafeln. 

In den 1990er Jahren hatte sich der Zustand des Gotteshauses nach einigen alten Schäden weiter verschlechtert. Der Putz fiel aus den Gefachen, Holzbalken waren von Schwamm und Schädlingen befallen. Mit der Absicht, die Kirche schrittweise zu sanieren und damit zu erhalten, gründete sich 1997 der Freundeskreis zur Rekonstruktion, Pflege und Nutzung der Kirche von Altbarnim e. V. Vieles an dem Bauwerk ist inzwischen in Ordnung gebracht worden, einiges, wie die Dachbalken, ist noch zu reparieren.

Die Fachwerkkirche Altbarnim gilt als letzter Kirchenbau aus friderizianischer Zeit, der bis heute in seiner architektonischen Schlichtheit sowohl im Äußeren als auch in seiner künstlerischen Geschlossenheit im Innern erhalten ist.

Sietzing entstand 1756/57 im Zuge der Trockenlegung des Oderbruchs als planmäßig angelegtes Kolonistendorf Carlsfeld, zunächst benannt nach dem Markgrafen Karl Friedrich Albrecht von Brandenburg-Schwedt. Seit 1761 gab es im Ort eine „Stube zum Gottesdienst“, den der Pfarrer aus Friedland ab und an hier mit der Gemeinde feierte. 1803 bauten sich die Sietzinger ein neues Fachwerk-Bethaus. Ein in den oberen Geschossen mit Holz verkleideter Turm wurde erst 1883 angefügt.

Dorfkirche Sietzing

In der Mitte des Ortes gelegen, seit 2020 grundlegend saniert, wirkt der schlichte Fachwerkbau, den ein gepflegter Friedhof umgibt, einladend. Der Innenraum ist freundlich hell, trotz geringer Raumhöhe gibt es seit der Erbauungszeit eine Orgelempore; Bänke und hölzerne Taufe sind ebenfalls erhalten. Von größeren Kriegsschäden blieb die Kirche verschont. Ihr Erhaltungszustand war nach mehr als zweihundert Jahren bedrohlich: feuchte Wände, beschädigte Holzbalken, verzogene Fenster. Eine Sanierung war dringend notwendig.

Um die Kirchengemeinde bei ihren Bemühungen um den Erhalt des Gotteshauses zu unterstützen, gründete sich der Freundeskreis Fachwerkkirche Sietzing e. V., der neben den notwendigen Instandsetzungsarbeiten das Kirchengebäude zu einem Ort der Begegnung und der Kommunikation in der Region entwickelte. Unterstützung erhielt er im September 2015 mit dem vom Förderkreis Alte Kirchen ausgereichten Startkapital für Kirchen-Fördervereine.

Altar in Sietzing vor und nach der Restaurierung

Die Kosten der Sanierung beliefen sich auf insgesamt 600.000 Euro, davon 450.000 Euro aus einem EU-Fonds zuzüglich eines großen Eigenanteils. Im Internet lässt sich der Bauablauf vom Beginn im April 2019 bis zum Sommer 2020 in einer eindrucksvollen Bilderserie verfolgen. So ist ein wirkliches Schmuckstück entstanden, das mit erneuertem Fachwerk, saniertem Dach, neuem Turmaufbau, mit angebauter Küche und behindertengerechter Sanitäranlage für vielfältige Veranstaltungen genutzt werden kann.

Besonders zu erwähnen ist auch hier der ungewöhnliche Kanzelaltar. An der Ostwand hatte man eine Winterkirche abgetrennt, die im Zuge der Sanierung beseitigt wurde. Dabei entdeckte man, dass die Rückwand des Altars als Tür gearbeitet ist. Der Pfarrer kann hinter den Altar treten, ein Schalldeckel vermittelt den Eindruck eines Kanzelaltars. Das Foto zeigt Pfarrer Arno Leye bei der feierlichen Wiederindienstnahme der Kirche am 25. September 2020. Wahrscheinlich wollten die Erbauer mit dieser Gestaltung trotz geringer Raumhöhe dem barocken Zeitgeist entsprechend Abendmahlstisch und Kanzel verbinden. Mit der Restaurierung des Altars, der eine freundlichere Farbfassung bekam, waren die Arbeiten an und in der Kirche abgeschlossen. 

Neben den Gottesdiensten ist die Kirche, die auch eine – normalerweise – geöffnete Kirche ist, verbindlich verzeichnet als Radwegekirche. Seit Dezember 2018 ist sie offiziell als „Kulturerbeort im Oderbruch“ anerkannt.

Die Sietzinger Ortsvorsteherin Ines Zochert-Köhn stellt das vielfältige Programm des Freundeskreises dar: Die Kirche ist Station des Kreuzwegs am Gründonnerstag, bietet ein Pflanzen-Café zu den Kunst-Loose-Tagen oder zum Gartentag sowie Konzerte auf dem Harmonium, das als klanglich schönes Instrument gelobt wird. Die Kinderkirche zu verschiedenen Themen ist ein weiterer Baustein, und den krönenden Abschluss bildet dann das Weihnachtskonzert am Sonnabend vor dem dritten Advent. 

„Die Kirche als saniertes Bauwerk steht für Begegnung, Gemeinschaft und Gottesdienst in einer lebendigen Gemeinde, in der die Bürger gern wohnen, weniger Wegzug stattfindet und somit der demografische Wandel aufgehalten wird“, so Frau Zochert-Köhn.

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