von Bernd Janowski

Nur ein Weg führt nach Meßdunk

Konzerte (fast) am Ende der Welt

Bernd Janowski ist Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.

Fast am Ende der Welt hinter einem Abzweig ins Nichts beginnt das Abenteuer in einer Kirche mit Kerzenschein und Blumen aus dem Nirgendwo.“ So heißt es auf der Internetseite des Vereins JUSTkultur e. V., von dem hier noch die Rede sein wird.

Der Abzweig ins Nichts beginnt etwa zehn Kilometer südlich der Stadt Brandenburg an der Havel im Dorf Reckahn, in dessen sorgfältig restauriertem Schloss heute ein Museum an den Pädagogen und Schulreformator Friedrich Eberhard von Rochow (1734 – 1805) erinnert. Von Reckahn aus führt ein Plattenweg, der später in eine Schotterpiste übergeht, an mehreren von zahlreichen Wasservögeln belagerten Fischteichen vorbei „fast ans Ende der Welt“. Zwischen Bäumen und Sträuchern taucht plötzlich und unerwartet eine kleine rote Backsteinkirche auf. Vor der Kirche ein Ortsschild: Meßdunk. Erst jetzt nimmt der Besucher wahr, dass es hier neben dem Gotteshaus auch noch ein paar Häuser gibt. Durch den kürzlich erfolgten Zuzug eines Ehepaares, das dabei ist, ein verlassenes Haus auszubauen, hat sich die derzeitige Einwohnerzahl auf 26 erhöht. Viel mehr waren es in den letzten Jahrzehnten nie. Die höchste Bevölkerungszahl gab es im Jahr 1801, als in Meßdunk 15 Feuerstellen und 67 Einwohner gezählt wurden.

Foto: Bernd Janowski
Dorfkirche Meßdunk

Erstmals urkundlich erwähnt wird Meßdunk bereits im Landbuch Kaiser Karls IV. 1375. Der Name lässt auf flämische Kolonisten schließen. Bereits damals gab es hier keine Bauern, sondern lediglich einige Kossäten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird Meßdunk bereits nicht mehr als Dorf, sondern als Kolonie bezeichnet, daneben existiert ein kleines Vorwerk, des Rochowschen Gutes in Reckahn. Seit 2002 gehört Meßdunk als Gemeindeteil von Reckahn zur Gemeinde Kloster Lehnin.

Trotz der geringen Ortsgröße wird bereits bei der ersten protestantischen Visitation im Jahr 1540 ein Kirchengebäude erwähnt. Dieses, auf dem heute noch genutzten Friedhof befindlich, war zwar nicht baufällig, wurde aber als „unwürdig“ empfunden. Mit einem Neubau am nordöstlichen Ortsrand beauftragte die Gemeinde 1867 Maurermeister August Eiserbeck aus dem nahe gelegenen Golzow. Nach seinen, vom Regierungsbaumeister Horn noch etwas korrigierten Plänen entstand ein neuromanischer ziegelsichtiger Backsteinbau mit einem erstaunlich reich gestalteten Turm mit spitzem Turmhelm, der bereits ein Jahr später eingeweiht wurde. Der Innenraum bot 90 Gottesdienstbesuchern Platz und wird vermutlich nie voll besetzt gewesen sein. Aus dem Vorgängerbau wurde ein auf das Jahr 1474 datierter Altarschrein übernommen, den kein Geringerer als Gerard Weger, der Meister des Brandenburger Katharinen-Altars, geschaffen hatte. Heute ist er in der Reckahner Kirche zu besichtigen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Meßdunker Kirche in Mitleidenschaft gezogen. 1963 beschädigte ein Blitzschlag Turm und Kirchendach. Reparaturen waren damals nicht möglich, so dass das Gebäude zusehends verfiel.

Foto: Privat
Joachim Köhler, Vorsitzender des Vereins Justkultur e. V.

Am 4. Mai 1990 besuchten Mitglieder des erst einen Tag zuvor gegründeten Förderkreises Alte Kirchen im Rahmen einer Exkursion unter anderem die Kirche in Meßdunk, die, eingewachsen in dichtes Buschwerk, im Dornröschenschlaf lag. In der turbulenten Nachwendezeit schien fast alles möglich. Fördermittel wurden beantragt und unerwartet schnell kam die Bewilligung. Unter der Bauträgerschaft des Förderkreises wurden der Turm und das Kirchendach instandgesetzt, neue Fenster eingesetzt, der Turm erhielt, einem historischen Befund folgend, eine rote Farbschlämme. Plötzlich gab es in Meßdunk wieder eine von außen hübsch anzusehende Kirche. Nur was damit anfangen? Eine Gemeinde gab es hier schon lange nicht mehr.

Die zündende Idee hatte Trine Mattheis, die aus einem Nachbarort stammte und seinerzeit gerade Sozialpädagogik studierte. Zusammen mit einigen Freunden und der Unterstützung des damals zuständigen Pfarrers Gerke Pachali sowie seiner Frau Anneli gründete sie im Frühjahr 1994 einen Verein mit dem Namen Just e. V. Die Abkürzung Just stand für Jugend- und Sozialarbeit. Zahlreiche Freizeit- und Ferienangebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche wurden angeboten. Daneben fanden erste Konzerte statt. Als Trine Mattheis und einige andere Vereinsmitglieder sich beruflich neu orientieren mussten und die Region verließen, übernahm 1998 Joachim Köhler den Vereinsvorsitz. Köhler stammt aus dem pfälzischen Bad Kreuznach, studierte in Saarbrücken Musik und ist seit 1990 als Cellist bei den Brandenburger Symphonikern tätig. Sein Debüt in der Meßdunker Kirche gab er mit Kollegen bei einem Kammerkonzert unter dem Titel „Divertimento Differente – Klassik anders“. Eine Konzertreihe entstand, die bis heute Besucher in den abgelegenen Ort zieht. Fünf bis sechs Konzerte jährlich werden angeboten. Das Spektrum reicht von Folkmusik über Jazz bis zum Auftritt von Liedermachern. 1998 wurde die Kirche entwidmet, blieb aber im Eigentum der Kirchengemeinde. Der inzwischen in JUSTkultur umbenannte Verein pachtete das Kirchengebäude für eine symbolische D-Mark jährlich.

Heute zählt der Verein neun aktive Mitglieder, die sich um Technik, Catering und Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Regelmäßig finden Arbeitseinsätze zur Pflege des Kirchenumfeldes statt. Spürbar gebessert hat sich das Verhältnis zu den Einwohnern des Ortes. Gab es am Anfang – als noch Rockkonzerte unter freiem Himmel stattfanden, die auch mal bis in den frühen Morgen dauerten – noch hin und wieder Ärger, so bringen die Meßdunker heute schon mal Blumen aus ihren Gärten vorbei, um die Kirche vor einem Konzert zu schmücken.

Foto: Justkultur e. V.
Konzert in der Dorfkirche Meßdunk

Finanzielle Zuschüsse gibt es nicht. Die Veranstaltungen müssen sich selbst tragen. Bei etwa 50 Besuchern pro Konzert, Tendenz leicht sinkend, ist das nicht ganz einfach. Das Kulturangebot in der Stadt Brandenburg ist groß und so ist es erstaunlich, dass trotzdem noch Menschen eine Autofahrt „ans Ende der Welt hinter einem Abzweig ins Nichts“ unternehmen, um einem Konzert zu lauschen. Auf die Frage, ob hier auch in zehn oder zwanzig Jahren noch Konzerte stattfinden, reagiert Joachim Köhler jedoch optimistisch. Wenn ein paar junge Leute im Verein nachrücken, sollte das durchaus möglich sein.

www.justkultur.de

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