Wo ist unser Geld geblieben?

Neu verleimt und frisch vergoldet

Taufengel in der Kirche Görlitz-Weinhübel schwebt nun wieder

Der Förderkreis Alte Kirchen hat vor einiger Zeit Geld für die Restaurierung des Taufengels der evangelischen Kirchengemeinde Görlitz-Weinhübel zur Verfügung gestellt. Die Restaurierung ist inzwischen abgeschlossen. Aus diesem Grund erreichte uns ein Dankesbrief von Gemeindepfarrer Ulrich Wollstadt, dem ein Schreiben von Restauratorin Annett Kretschmer beigefügt war, welches  bei der „Wieder-indienststellung“ des Taufengels im Februar 2020 in der Kirche verlesen wurde und das wir im Folgenden leicht gekürzt abdrucken.

Liebe Gemeinde,
schön, Sie zu sehen und schauen Sie mal, ich schwebe wieder. Ich bin nun fast fertig restauriert. Es fehlt noch etwas Farbe auf den Sandalensohlen und hier und da vielleicht auch noch etwas Gold, Sie wissen schon, davon kann man ja nie genug haben. Diese, im Verhältnis zu dem, was ich durchgemacht habe, kleinen kosmetischen Behandlungen werden noch im Februar erledigt. Ich hoffe, ich gefalle Ihnen dennoch schon jetzt?! Zugegeben, ich weiß, ich habe mich sehr verändert, aber eigentlich auch nicht wirklich. Denn jetzt sehe ich fast so aus, wie man mich gestaltet hat, als ich jung war, als ich erschaffen wurde aus einem zusammengeleimten Stück Lindenholz, so vor 230 Jahren etwa muss das gewesen sein. Mit dieser umfänglichen Restaurierung wurden zuerst mal meine Verletzungen behandelt. So wurde mein rechter Flügel, der ja, Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht mehr, komplett durchgebrochen war, konsolidiert. Er war damals nach dem Unfall nur notdürftig mit vielen kleinen Nägeln wieder zusammengeflickt worden. Aber jetzt ist er wieder schön und zu gebrauchen, denn er ist von innen geschient und alle fehlenden Flügelspitzen sind nachgeschnitzt und wieder vergoldet worden.

Er schwebt herab …

Auch hat man sich rührend um meine linke Hand bemüht. Die war schon immer problematisch, da sie soweit in den Raum hineinragt. Jedes Mal, wenn jemand fest daran stieß, war wieder ein Finger ab und noch einer und noch einer. Am Ende hatte ich nur noch einen Finger und den Daumen. Jetzt wurden mir endlich die fehlenden Finger nachgeschnitzt, angesetzt, fest verleimt und farblich schön angepasst. Wenn man’s nicht wüsste, man würde es nicht ahnen. Auch an der Krone, die ja zur Aufnahme der Taufschale dient, waren viele kleine Teile gebrochen oder sie fehlten, auch hier hat man sich bemüht, alles neu verleimt oder in Lindenholz nachgeschnitzt und vergoldet. Ich wette, Sie sehen die früheren Schäden nicht mehr. Und auch mein kleiner Engelsfreund in der Wolke wurde nicht vergessen, er hat zwei neue Flügelspitzen bekommen, die irgendwie verloren gegangen waren. Und was sagen Sie zu meiner Wolke? Wie sah sie vorher aus, könnten Sie sich fragen? Erinnern Sie sich? Sie war Rotbraun! Puh, es sah aus wie ein alter Fußboden-Anstrich. Das hat der Restauratorin nicht gefallen und mal ehrlich, wer will schon auf einer braunen Wolke stehen? Ich verrate Ihnen was. Das Rotbraun war Original und doch war es eine Täuschung, denn es handelte sich um den typischen Haftgrund für ein Blattmetall, eine rotbraune Tonerde. Ehemals war darauf aber kein Blattgold wie an meinem Gewand, sondern Blattsilber. Aber das Silber der Wolke wurde in den letzten 200 Jahren einfach abgegriffen, weil irgendjemand oder eben ganz viele Leute immer und immer wieder mit schwitzigen oder rauen Händen an der Wolke angefasst haben, um mich herunter zu ziehen. Irgendwann war dann das Metall ab. In den Vertiefungen hat man es noch ein bisschen gesehen, aber es war ganz schwarz wie unpolierte Silberlöffel. Jetzt habe ich meine silberne Wolke wieder!  So und nun zu dem, was sich optisch für Sie vielleicht am meisten an mir verändert hat, meine Hautfarbe, in der Kunst Inkarnat genannt. Jetzt muss ich ein bisschen in die Geschichte schauen. Bei einer Restaurierungsmaßnahme 1958/59, die auch Kanzel und Altar mitgemacht haben, befand ich mich offensichtlich in einem sehr schlechten Zustand. Die damaligen Restauratoren entschieden daher, mir eine weiße Farbmaske auf Gesicht, Haare und alle Hautpartien aufzutragen, damit ich wieder ansehnlich wäre. Es sah erstmal nicht schlecht aus, aber mit der Zeit verlor der Anstrich an Glanz und bröckelte sogar ab, verschmutzt war er sowieso und Augen hatte ich auch keine bekommen. In den letzten Jahren waren Sie, liebe Gemeinde, irgendwie unzufrieden mit dem schmutzigen Weiß meiner Haut und der Haare.  Und das führte dann wohl dazu, dass viele von Ihnen sich überlegt haben, ein paar Euros oder auch viele Euros zu spenden, um mir aus der optischen Patsche zu helfen und mich so weit überholen zu lassen, dass ich meinen Dienst fröhlich verrichten kann, ohne schief angeschaut zu werden. Das hat mich sehr berührt.

Ich bin gerne in Ihrer schönen Kirche und schwebe gerne an meinem neuen sicheren Hanfseil mit innenliegender Stahlseele. Ich habe jetzt meinen rosigen Teint wieder und mein braunes Haar, ganz wie früher. Dort, wo etwas an der Gesichtsfarbe fehlte, hat die Restauratorin kleine rosige Punkte mit dem Pinsel gesetzt. Nur die Augen und das Lippenrot musste die Restauratorin komplett erneuern, da war nichts mehr zu holen. Und damit ich hier noch lange meinen Dienst tun kann, bei guter Pflege mindestens mehrere hundert Jahre, würde ich mich über eine zweite Sicherung im Rücken freuen, denn auch davon kann man nie genug haben.

Wenn Sie mich zukünftig für die Taufe herablassen, benutzen Sie weiterhin den Haken zum Herablassen und wenn Sie mich dafür anfassen wollen, kein Problem, aber nur mit weichen Handschuhen. Sie kennen doch den Spruch: “Den muss man mit Samthandschuhen anfassen!“
Ihr schwebender Taufengel, im Dienst seit 1788

(Die Worte des Engels hat für uns übersetzt und aufgeschrieben unsere Restauratorin Annett Kretschmer, Tauchritz)

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