von Christiane Barz

„Daß ich hier ein Ideal schildere, weiß ich.“

Die Bedeutung von Kirchen, Pfarrhäusern und Landpfarrern für Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“

Dr. Christiane Barz, Literaturwissenschaftlerin, ist Kuratorin der Ausstellung „fontane.200 / Brandenburg – Bilder und Geschichten“ im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte.

Fontane am Schreibtisch (1894) mit Widmung „Ein paar rechtschaffene Menschen sind besser als große Massen.“; Privatbesitz

In den Jahrzehnten seiner Arbeit an den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ machen sich bei Fontane bisweilen Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Jenseits aller Routinen des Reisens und Beschreibens bewahrt er sich dennoch das Interesse am Unspektakulären: „Eine alte, von Niemandem gekannte Dorfkirche zu beschreiben, macht mir noch jetzt einen kleinen Spass, 1.000 mal Beschriebenes oder zum 1.001ten Mal dem Publikum vorführen, widersteht mir.“

Ohne diese Dorfkirchen, die Pfarrhäuser, die Landpfarrer wären die Wanderungen nicht das, was sie sind. Die Kirchen sind für Fontane Geschichtsarchive, die Pfarrer wichtige Informanten über die lokale Überlieferung. In seinem ersten Roman „Vor dem Sturm“ stellt der Erzähler die bewahrende Funktion der Kirchen sogar über die von Schlössern und Herrenhäusern, weil sich in ihnen die anbrandenden Geschichtsbewegungen baulich niederschlagen: „ Nur unsere Dorfkirchen stellen sich uns vielfach als die Träger unserer ganzen Geschichte dar, und die Berührung der Jahrhunderte untereinander zur Erscheinung bringend, besitzen und äußern sie den Zauber historischer Kontinuität.“

Theodor Fontane als Wanderer in der Mark, Karikatur von August von Heyden (1860er Jahre); In: Theodor Fontanes engere Welt. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Mario Krammer, Berlin 1920

Als Horte historischer Kontinuität im Zeitalter des beschleunigten Wandels in der beginnenden Moderne sind die Dorfkirchen ein fester Programmpunkt auf Fontanes Erkundungsfahrten und gehören zu seinem Repertoire der Örtlichkeiten, die er in den ortsbezogenen Kapiteln der Wanderungen schildert. Um so schmerzlicher berühren ihn die teils rabiaten Restaurierungsmaßnahmen, die moderne Ästhetik über historische Kontinuität stellen: „Die Lokalgeschichte erlitt erhebliche Einbuße, weil alles Historische, was sich in den alten Kirchen vorfand, meist als Gerümpel beseitigt und fast nie in den Neubau mit hinübergenommen wurde.“ Fontane argumentiert nicht ausschließlich für das Alte, sondern möchte dessen Spuren im Neuen bewahrt sehen: „Die historische Pietät ist fast noch seltener als die künstlerische. So entstehen denn entzauberte Kirchen, die helle Fenster und gute Plätze haben, die aber den Sinn kalt lassen, weil mit der Vergangenheit gebrochen wurde. Ein ‚gefälliger Punkt in der Landschaft‘ ist gewonnen, eine vielversprechende Schale, aber, in den meisten Fällen, eine Schale ohne Kern.“

Fontane „liest“ die Geschichtssedimente in den Kirchen, er verwendet Kirchenbücher als Quelle für sein Erzählen (besonders prominent: die Fahrlander Chronik, mit der er ganze Kapitel bestreitet), und er schildert die Persönlichkeit und das Werk von Dichter-Pfarrern (Paul Gerhardt, Schmidt von Werneuchen). Vor allem ist es aber die direkte Begegnung mit Landpfarrern, die für seine Wanderungen von unschätzbarer Bedeutung ist. Sie halten die lokale Überlieferung lebendig und werden um so wichtiger, je mehr der örtliche Adel an Bedeutung verliert: „In der Tat, das Pfarrhaus ist nach dieser Seite hin dem Herrenhause weit überlegen, dessen Ansehen hinschwindet, seitdem der alten Familien immer weniger und der zu »Gutsbesitzern« emporsteigenden ländlichen und städtischen Parvenus immer mehr werden.“ Während der Adel seinen Wirkungskreis ins Überregionale ausdehnt, wurzelt das Pfarrhaus in Kultur, Geschichte und Mentalität seiner Region: „Das Pfarrhaus aber bleibt daheim, wartet seines Gartens und okuliert den Kulturzweig auf den immer noch wilden Stamm.“

Bildnis Theodor Fontane (1883) von Carl Breitbach, Öl auf Leinwand; Privatbesitz (Foto: Bettina Paßmann-Möbis / www.be-pictured.de)

Die Landpfarrer als Kulturbewahrer und -veredler haben es Fontane besonders angetan. Im Nachwort zum letzten Band der Wanderungen würdigt er sie – neben Adel und Lehrern – als seine „Mitarbeiter“ und hebt sie als seine „recht eigentlichsten Mitarbeiter“ hervor, weil sie „sich‘s nicht bloß angelegen sein ließen, mir den Stoff, sondern ebendiesen Stoff auch in der ihm zuständigen Form zu geben.“ Er rühmt „erstaunliches Wissen im Detail“, das ihm „immer neue Seiten in Historie, Natur- und Volksleben“ erschließe. Detailreich und lebendig erzählt Fontane von seiner Begegnung mit dem Superintendenten Kirchner in Walchow. Mit ihm würdigt Fontane einen universell gebildeten Historiker, Sammler, Schriftsteller und Archäologen, der seine „von Jugend auf gehegte Vorliebe für diese stillen, geißblattumrankten Pfarrhäuser“ als Stätten geistigen Lebens beglaubigt: „Daß ich hier ein Ideal schildere, weiß ich. Aber es verwirklicht sich jezuweilen, und an vielen hundert Stellen wird ihm wenigstens nachgestrebt.“

Die Potsdamer Ausstellung widmet dem Walchower Pfarrer und seiner Sammlung eine eigene Station. An anderer Stelle wird exemplarisch Fontanes Umgang mit Kirchenbüchern erlebbar sein – hierfür steht das Gröbener Kirchenbuch, das Fontane als einen „wahren Schatz“ für die „Kultur- und Sittengeschichte der Mark“ seitenweise zitiert. Fontanes Annäherung an die Lebensgeschichte eines besonderen Pfarrers, des Feldpredigers Seegebarth, wird mit der Station zu Etzin gezeigt. Hier entwirft Fontane auf der Grundlage des Porträtgemäldes in der Kirche und seines Tagebuchs ein lebendiges Charakter- und Zeitbild. Beides wird in der Ausstellung zu sehen sein.

Wie die Kirchen für Fontane kulturgeschichtliche Archive sind und die Kirchenbücher wichtige historische Quellen, so schätzt er die Landpfarrer als Gesprächspartner und Informanten, ohne die seine Wanderungen ärmer gewesen wären. Als Bewahrer und Verbreiter von Kulturgeschichte hält er sie für unentbehrlich: „Wer zusammenstellen könnte, was die märkischen Geistlichen der letzten 50 Jahre landeshistorisch geschrieben haben, der besäße ein Werk über die Mark, das sich sehen lassen könnte.“

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